Wie sich Elektronen mit Licht einkleiden

Licht – das Fünfte Element der Materialwissenschaften?

17.04.2023 - Deutschland

Neue Materialeigenschaften, blitzschnell und nach Wunsch – diese Vision wird durch jüngste Erkenntnisse einer europaweiten Forschungsgruppe genährt. Das Team nutzt ultrakurze und starke Lichtfelder, um direkt zu beobachten, wie in einem Kristall exotische energetische Zustände entstehen, so genannte Floquet-Bänder. Die Wissenschaftler berichten im Forschungsmagazin Nature über ihre Ergebnisse.

© Brad Baxley (parttowhole.com)

Wenn Elektronen (Kugeln) in der Oberfläche eines topologischen Isolators durch starke Lichtwellen gemäß ihrer Bandstruktur (unterster Kegel) beschleunigt werden, entstehen Floquet-Bloch-Replikas (höher liegende Kegel) der ursprünglichen Bandstruktur. Videos der Bandstruktur mit subzyklen Zeitauflösung enthüllen erstmals die Entstehungsdynamik (Kegel im Hintergrund).

„Die Entdeckung neuer Materialeigenschaften hängt üblicherweise von unserer Fähigkeit ab, die chemische Zusammensetzung des Materials zu kontrollieren“, sagt Ulrich Höfer, Professor für Experimentalphysik an der Philipps-Universität Marburg und Adjunct Professor an der Universität Regensburg. „Die rein optische Beeinflussung von Materialeigenschaften hingegen könnte die Physik in eine neue Ära führen, indem sie neue Funktionen nach Bedarf ermöglicht.“

Regt man Elektronen periodisch mit starkem Licht an, so führt dies zu exotischen Quanteneffekten: Die periodischen Störungen durch das starke Lichtfeld bewirken, dass die Elektronen nicht nur einen feststehenden Energiezustand besitzen, sondern viele Energiezustände in gleichmäßigem Abstand. „Der ursprüngliche Energiezustand umgibt sich gewissermaßen mit mehreren Hüllen aus Licht“, erklärt Rupert Huber, Professor am Institut für Experimentelle und Angewandte Physik der Universität Regensburg und ein weiterer Leitautor. Fachleute sprechen hierbei von Floquetbändern. „Die dynamischen Eigenschaften solcher Zustände – also zum Beispiel die Frage, wie lange Elektronen brauchen, um sich mit Licht ‚einzukleiden‘ – blieben bislang jedoch unbekannt“, führt Huber aus.

Die Sonderforschungsbereiche Struktur und Dynamik innerer Grenzflächen sowie Emergente relativistische Effekte in kondensierter Materie der Deutschen Forschungsgemeinschaft an den Universitäten Marburg und Regensburg bieten beste Voraussetzungen, um derartige Forschungslücken zu schließen. Das Team untersuchte die Oberfläche eines Kristalls mithilfe der Photoelektronenspektroskopie. „Wir gingen mit unseren Messungen über die Grenze dessen hinaus, was sich bis dato mit dieser Spektroskopie an Zeitauflösung bei starken Lichtfeldern realisieren ließ“, betont Suguru Ito, Postdoc an der Philipps-Universität Marburg und Erstautor der Arbeit. Dadurch gelang dem Team eine unvorhergesehene Entdeckung, so Ito: „Überraschenderweise bilden sich die Floquetbänder schon nach einem einzigen optischen Zyklus aus, also in sehr kurzer Zeit.“

„Die Gutachter konnten das zunächst kaum glauben!“, sagt Höfer. Doch die eindeutigen experimentellen Resultate werden durch theoretische Modellierungen gestützt, beigesteuert von Michael Schüler, Gruppenleiter am Paul-Scherrer-Institut in Villigen in der Schweiz, und Emmy-Noether-Gruppenleiter Michael Sentef am Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie, nun Professor für Festkörperphysik an der Universität Bremen.

Die Arbeit liefert wichtige neue Informationen zur Entwicklung der Floquetbänder, erläutert Sentef: „Das Einkleiden von Elektronen mit Licht ist in Festkörpern oft besonders schwierig, da die eingebrachte Energie schnell in Wärme umgewandelt wird. Indem wir nachweisen, dass dieses Einkleiden schon nach einem einzigen optischen Zyklus passiert, bahnen wir den Weg dafür, Festkörpereigenschaften sehr schnell und sehr stark mit Licht zu verändern."

„Unser Experiment eröffnet die Möglichkeit, eine Vielzahl von vorübergehenden Quantenzuständen sichtbar zu machen“, ergänzt Huber. „Dies ebnet den Weg zu maßgeschneiderten Quantenfunktionen und zu ultraschneller Elektronik.“

Neben den Arbeitsgruppen aus Marburg und Regensburg beteiligten sich Wissenschaftler vom MPSD, vom Paul-Scherrer-Institut und vom A. V. Rzhanov-Institut in Novosibirsk, Russland, an der Veröffentlichung. Die Kooperation mit dem russischen Kollegen fand noch vor dem Ukrainekrieg statt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft förderte beteiligte Wissenschaftler durch Sonderforschungsbereiche in Marburg und Regensburg sowie durch das Emmy-Noether-Programm. Mehrere internationale Förderorganisationen gewährten weitere finanzielle Unterstützung.

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