Wissenschaftler stellen erstmals Polymere aus „Ballbot-Carbenen“ her

Mit „Ballbot-Molekülen“, die auf einer Oberfläche gleiten, haben Forscher erstmals langkettige bewegliche Polymere auf Metalloberflächen hergestellt

31.08.2023 - Deutschland
Münster University – Doltsinis Group

Seitenansicht einer mit der quantenmechanischen Dichtefunktionaltheorie optimierten Struktur einer Ballbot-Molekülkette.

N-Heterozyklische Carbene (NHCs) sind kleine, reaktive organische Ringmoleküle, die gut an Metalloberflächen binden und in den vergangenen Jahren in der Katalyseforschung und auf dem Gebiet der stabilen chemischen Modifizierung von metallischen Oberflächen auf starkes Interesse gestoßen sind. Eine an der Universität Münster vor einigen Jahren entdeckte Besonderheit ist die Fähigkeit bestimmter NHC-Derivate, sich nicht nur an einzelnen Metallatomen zu verankern, sondern auch ein einzelnes Atom aus der Oberfläche vollständig herauszulösen. Gebunden an diesem sogenannten Ad-Atom gleiten die NHCs frei über die Oberfläche – ähnlich einem Ballbot, also einem Roboter, der auf einer Kugel über die Oberfläche gleitet. Mithilfe derartiger „Ballbot-Moleküle“ gelang es den münsterschen Physikern und Chemikern in Kooperation mit chinesischen Forschern nun erstmals, die halogenierten NHCs dazu zu veranlassen, langkettige bewegliche Polymere, also Molekülketten, auf Metalloberflächen herzustellen. Die Arbeit ist in der Fachzeitschrift „Nature Chemistry“ veröffentlicht.

Die Beweglichkeit der ballbotartigen NHCs führt zu neuen Möglichkeiten, beispielsweise die selbstorganisierte Gruppierung zu hochgeordneten Domänen aus diesem Molekültyp bis hin zu kooperativem, schwarmartigen Verhalten der NHCs beim autarken Umbau bestimmter Metalloberflächen in eine andere hochgeordnete Struktur, ohne jegliche äußere Beeinflussung wie Licht oder Elektronen. „Über die Selbstorganisation hinaus sind diese Ballbot-Polymere äußerst vielversprechend im Hinblick auf neue Anwendungen in den Bereichen Nanoelektronik, Oberflächenfunktionalisierung und Katalyse“, betont Prof. Dr. Harald Fuchs, Seniorprofessor am Physikalischen Institut der Universität Münster und wissenschaftlicher Leiter des münsterschen Center for NanoTechnology (CeNTech).

NHCs können leicht an den Stickstoff-(N-)Gruppen des fünfzähligen heterozyklischen Molekülkörpers modifiziert werden. Damit gelingt es, sowohl die elektronische Wechselwirkung der Carbene mit den Atomen einer Metalloberfläche – beispielsweise Gold – zu beeinflussen, als auch die Orientierung der Carbene senkrecht oder parallel zu einer Oberfläche zu kontrollieren. Eine Besonderheit der verwendeten halogenierten NHCs, die am Organisch-Chemischen Institut der Universität Münster entwickelt wurden, ist ihre Fähigkeit zur spontanen Ad-Atom-Bildung auf Edelmetalloberflächen und die dadurch entstehende Mobilität. Diese ist eine Voraussetzung für das Zusammentreffen und die Reaktion mit anderen reaktiven Systemen auf der Oberfläche.

„Für den Erfolg der Experimente war die Balance zwischen chemischer Reaktivität der monomeren Struktureinheiten und ihrer Mobilität entscheidend“, fasst Erstautor Prof. Dr. Jindong Ren, ehemals Postdoktorand in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Harald Fuchs und inzwischen Gruppenleiter am National Center for Nanoscience and Technology (NCNST) in China, zusammen. Einerseits können sich die Monomere durch die Ballbot-Eigenschaft leicht auf der Oberfläche bewegen, anderseits muss die Kontaktzeit der Reaktionspartner ausreichend lang sein, um die Reaktion zu veranlassen. Dies gelingt vor allem durch die molekulare Struktur und die passende Einstellung der Temperatur während des Experiments.

Die Kontrolle der chemischen Reaktionen und der Nachweis der gewünschten Reaktionsprodukte im Bereich der Oberflächen-Präzisionschemie erfordert hochspezialisierte präparative und analytische Experimente, die es erlauben, molekulare Interaktionen auf Oberflächen und einzelne Reaktionsschritte auf submolekularer Skala zu beobachten. Dafür setzten die Forscher am CeNTech sowie am Beijing National Center for Condensed Matter Physics und am Institute of Physics Methoden der Rastersondenmikroskopie (STM und nc-AFM) sowie Photoelektronenspektroskopie ein, um die chemischen Bindungsverhältnisse aufzuklären und den Nachweis der Ballbot-Strukturen zu führen. Komplementär hierzu ergänzten sie die experimentellen Ergebnisse durch aufwändige Computersimulationen am Institut für Festkörpertheorie der Universität Münster, basierend auf quantenmechanischen Ansätzen und reaktiven Kraftfeldern. Damit bestätigten sie die experimentellen Ergebnisse und quantifizierten die elektronischen und strukturellen Eigenschaften der Ballbot-Polymere.

Originalveröffentlichung

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