Geheimnisse der festen Phase von Stickstoff entschlüsselt

Noch nie dagewesener Einblick in die allmähliche Umwandlung von Molekülen in Polymere und die Bildung von amorphem Stickstoff

13.10.2023
Sofia Doubrovinskaia priv.

Prof. Dr. Leonid Dubrovinsky und Prof. Dr. Natalia Dubrovinskaia

In einer bahnbrechenden Studie unter der Leitung von Forscher*innen der Universität Bayreuth und in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen der University of Edinburgh (Großbritannien) und der University of Linköping (Schweden) wurden die Geheimnisse der festen Phasen von Stickstoff gelöst und sein komplexes Verhalten aufgeklärt. Die in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlichten Ergebnisse geben einen noch nie dagewesenen Einblick in die allmähliche Umwandlung von Molekülen in Polymere und die Bildung von amorphem Stickstoff. Dies ebnet den Weg für Fortschritte in den Materialwissenschaften und der Hochdruckphysik.

Bei Umgebungsdruck und -temperatur ist Stickstoff gasförmig und liegt in Form eines N₂-Moleküls vor, das aus einer extrem starken Dreifachbindung besteht. Wenn molekularer, gasförmiger Stickstoff unter extremen Druck gesetzt wird, wird er zunächst flüssig und dann bei etwa 2,5 GPa (d. h. dem 25.000-fachen des atmosphärischen Drucks) zu einem Feststoff. Seit über einem Jahrhundert beschäftigen sich Wissenschaftler mit den festen Phasen von molekularem Stickstoff, da die Kenntnis der chemisch-physikalischen Mechanismen, die den Umwandlungen in Stickstoff zugrunde liegen, für die Festkörperwissenschaften von entscheidender Bedeutung ist.

Die Zeta-N₂-Phase des Stickstoffs, die zwischen 60 und 115 GPa existiert, ist ein entscheidendes Puzzlestück für das Verständnis des Übergangs von molekularem zu polymerem Stickstoff. Doch trotz zahlreicher Untersuchungen war ihre Kristallstruktur (d. h. die Anordnung der Stickstoffmoleküle) bisher unbekannt - und der Weg zur Entschlüsselung des seltsamen Verhaltens von Stickstoff. Dem Forscherteam unter der Leitung von Dominique Laniel (Universität Edinburgh) sowie Natalia Dubrovinskaia und Leonid Dubrovinsky (Universität Bayreuth) gelang es mit einer in Bayreuth neu entwickelten experimentellen Technik, die Kristallstruktur von Zeta-N₂ zu bestimmen. Die Forscher pressten molekularen Stickstoff in Diamant-Ambosszellen auf extreme Drücke zwischen 60 und 85 GPa, wie sie im Erdmantel herrschen. Durch Lasererwärmung auf bis zu 2.000 Grad Celsius gelang es ihnen, hochwertige Submikrometer-Körner von Zeta-N₂ zu rekristallisieren. Ihre Kristallstruktur wurde mit Hilfe der Synchrotron-Einzelkristall-Röntgenbeugung gelöst und verfeinert. Aus diesen experimentellen Ergebnissen gewannen Theoretiker an der Universität Linköping (Schweden) weitere Erkenntnisse über den einzigartigen Polymerisationsprozess von Stickstoff.

Die Auswirkungen dieser Forschung gehen über Kenntnisse von Stickstoff selbst hinaus und ermöglichen ein tieferes Verständnis der molekularen Umwandlungen unter extremen Bedingungen. Die Ergebnisse ebnen den Weg für Fortschritte in den Festkörperwissenschaften, der Materialwissenschaft und der Hochdruckphysik. Die Forscher verbessern damit die Methoden zur Untersuchung der Eigenschaften von Funktionsmaterialien, die in der Elektronik, bei Computerchips, Halbleitern, Solarzellen, Batterien, Beleuchtung, Metallen oder Isolatoren verwendet werden.

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