Neue Erkenntnisse zur vielschichtigen Chemie des Urans

Von der Erkundung der Tiefen komplexer Elektronenschalen

09.09.2024
Maureen Thierry / ESRF

Clara Silva positioniert eine Probe für Messungen im Röntgenemissionsspektrometer an der Rossendorf Beamline (ROBL).

Das Schwermetall Uran ist nicht nur für seine Radioaktivität bekannt, sondern auch für seine komplizierte Chemie und sein vielfältiges Bindungsverhalten. Jetzt haben Forschende Synchrotronlicht an der Rossendorf Beamline (ROBL) genutzt, um die einzigartigen Eigenschaften von niederwertigen Uranverbindungen zu studieren, wie sie im Fachjournal Nature Communications berichten. An der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble betreibt das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) dafür vier Experimentierstationen für radiochemische Messungen.

Uran, das zur Gruppe der Actinoide im Periodensystem der Elemente gehört, fasziniert Chemiker*innen seit langem durch seine komplexe Elektronenkonfiguration. Die ungewöhnliche und vielfältige Bindungscharakteristik von Uran äußert sich in einer Vielzahl von Oxidationsstufen – manchmal sogar in exotischen. „In unserer aktuellen Studie konzentrierten wir uns auf niedrigwertiges Uran, das im Vergleich zu anderen, häufigeren Uranverbindungen mehr Elektronen in seinen inneren Schalen enthält. Konkret untersuchten wir das Verhalten der sogenannten 5f-Elektronen des Urans – Elektronen, die, obwohl sie sich in den inneren Schalen befinden, eine entscheidende Rolle für die chemischen Eigenschaften des Elements spielen. Diese Elektronen beeinflussen maßgeblich, wie sich Uran mit anderen Elementen verbindet“, erklärt Doktorandin Clara Silva vom Institut für Ressourcenökologie des HZDR die Motivation der Arbeit.

„Aufgrund der Radioaktivität des Urans wurden die Experimente hier durchgeführt, in einer Einrichtung, die speziell für die Erforschung der Actinoide konzipiert wurde. Diese Umgebung bietet die notwendigen Sicherheitsprotokolle und moderne Ausrüstung zur Durchführung der Studie“, sagt Prof. Kristina Kvashnina, Leiterin von ROBL und der Abteilung ‚Molekulare Struktur‘ des Instituts.

Um die neuen Erkenntnisse zu gewinnen, setzte das Team eine Technik ein, die als resonante inelastische Röntgenstreuung (RIXS) bekannt ist. RIXS ist eine leistungsstarke Methode, bei der ein Material mit Röntgenstrahlen beschossen wird. Anschließend wird die Energie gemessen, die bei der Streuung der Röntgenstrahlen am Material verloren geht. Dieser Energieverlust liefert detaillierte Informationen zur elektronischen Struktur des Materials und hilft den Wissenschaftler*innen zu verstehen, wie sich Elektronen etwa im 5f-Orbital von Uran verhalten und miteinander wechselwirken. Die Forschenden ergänzten ihre Ergebnisse mit einer weiteren speziellen Röntgentechnik: Die sogenannte HERFD-XANES-Methode liefert sehr detaillierte Informationen über die elektronische Struktur von Materialien, indem sie die hochenergetisch auflösende Fluoreszenzdetektion – der HERFD-Teil des Kürzels – mit der Röntgenabsorptionsanalyse in der Nähe der Kantenstruktur, abgekürzt XANES, kombiniert.

Das einzigartige Bindungsverhalten von Uran verstehen

„Zum ersten Mal konnten wir den dreiwertigen Oxidationszustand von Uran, kurz U(III), genau identifizieren und direkt nachweisen, was uns Aufschluss darüber gibt, wie Uranatome mit Elementen wie Fluor und Chlor interagieren und sich mit ihnen verbinden“, umreißt Kvashnina die Ergebnisse ihrer Gruppe, an denen sie seit 15 Jahre gearbeitet hat. Die Resultate werfen ein neues Licht auf die Natur der Bindungen von Actinoiden und zeigen, wie die 5f-Elektronen des Urans auf Veränderungen in ihrer Umgebung reagieren.

Die Untersuchung von Verbindungen des niederwertigen Urans bringt einige Herausforderungen mit sich. Denn diese sind weniger stabil als andere uranhaltige Materialien und verlangen sorgfältig kontrollierte Bedingungen, um unerwünschte Reaktionen zu unterdrücken. Um die Stabilität der Uranproben zu erhalten, haben die Forschenden die Arbeiten unter anoxischen Bedingungen – also unter Ausschluss von Sauerstoff – und bei extrem niedrigen Temperaturen durchgeführt. Außerdem erforderte die Komplexität der Daten den Einsatz modernster theoretischer Methoden, um die elektronische Struktur und die Bindungseigenschaften von Uran genau zu modellieren.

Unerwartete Einsichten und breitere Auswirkungen

„Eines der überraschendsten Ergebnisse der Studie war der Grad der Empfindlichkeit der 5f-Elektronen des Urans gegenüber ihrer lokalen Umgebung, was den ionischen Charakter der Bindungen des Elements beeinflusst. Diese Entdeckung stellt bestehende Theorien über die Bindungen von Actinoiden in Frage und eröffnet neue Wege der Forschung in der Actinoidenphysik und -chemie“, fasst Silva zusammen. Und die Arbeit des Teams ist nicht nur von grundlegender Bedeutung, sondern auch in praktischer Hinsicht interessant, zum Beispiel für allgemeine Aspekte des Strahlenschutzes und für die Sicherheit von Endlagern für radioaktive Abfälle: Niedervalente Uranverbindungen zeichnen sich vor allem durch ihre geringe Löslichkeit aus, was ihre Mobilität in der Umwelt verringert und zur Eindämmung von Kontaminationen beitragen kann.

Darüber hinaus könnten die Auswirkungen dieser Forschung weit über diesen Punkt hinausgehen. Durch ein besseres Verständnis der Systeme mit niedrigvalentem Uran können die Wissenschaftler*innen nun die theoretischen Modelle zur Vorhersage des Verhaltens solcher komplexen Elemente verbessern. Diese Erkenntnisse werden der künftigen Forschung in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zugutekommen und möglicherweise zu neuen Entwicklungen auf Gebieten führen, die von der Nuklearwissenschaft bis zur Umweltchemie reichen.

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