Eine Lebensgemeinschaft in Auflösung: Europäisches Experiment zur Ozeanversauerung in Spitzbergen gestartet
U. Riebesell, IFM-GEOMAR
Die Ozeane speichern einen großen Teil des von Menschen verursachten Kohlendioxids (CO2) und wirken damit der Erderwärmung entgegen. Seit Beginn der Industrialisierung haben sie bereits so viel Kohlendioxid aufgenommen, dass der Säuregrad des Wassers um 30 Prozent angestiegen ist. Bis 2100 wird er voraussichtlich um weitere 100 Prozent wachsen, falls der CO2-Ausstoß in seiner derzeitigen Höhe fortgesetzt wird. Die Polargebiete reagieren besonders sensibel auf diesen Versauerungsprozess. Da sich CO2 in kaltem Wasser besonders gut auflöst, ist dieses natürlicherweise bereits arm an Karbonat-Ionen, den Bausteinen kalkbildender Organismen. Nimmt das Wasser weiteres Kohlendioxid auf, sinkt der Karbonatgehalt so weit ab, dass das Meerwasser sogar korrosiv für die Schalen und Skelette der Kalkproduzenten wird. Überschreitet der Anteil an CO2 in der Atmosphäre 490 ppm (parts per million) - dies erwarten Wissenschaftler je nach Szenario zwischen 2040 und 2050 - erreicht bereits die Hälfte des arktischen Seegebiets diesen kritischen Wert. Die Folgen sind weitreichend: Am Meeresboden und im freien Wasser der Arktis leben viele kalkbildende Organismen wie Muscheln, Schnecken, Seeigel, Kalkalgen oder kalkhaltiges Plankton. Viele dieser Arten sind existenziell für das Nahrungsnetz der Arktis. So dienen etwa Flügelschnecken Fischen, Seevögeln und Walen als Nahrung.
"Aktuelle Messungen zeigen, dass der Ozean bereits saurer geworden ist", erklärt Prof. Dr. Ulf Riebesell, Meeresbiologe am Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften (IFM-GEOMAR) und wissenschaftlicher Leiter des Projekts. "Nun müssen wir dringend klären, wie die marinen Lebensgemeinschaften darauf reagieren. Die empfindlichen Ökosysteme der Arktis könnten als erstes von der Ozeanversauerung betroffen sein." Um die Einflüsse der Ozeanversauerung auf die Planktongemeinschaft zu untersuchen, hat das IFM-GEOMAR mit logistischer Unterstützung von Greenpeace neun Mesokosmen im Kongsfjord vor der Nordwestküste Spitzbergens verankert. Jedes dieser 17 Meter großen "Reagenzgläser" umschließt eine Seewassersäule von etwa 50 Kubikmetern. Die enthaltenen Lebensgemeinschaften werden unterschiedlichen CO2-Konzentrationen ausgesetzt, wie sie bei fortgesetzten CO2 Emissionen bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts erwartet werden. Über sechs Wochen untersuchen die Forscher die Veränderungen in den Mesokosmen bis ins Detail. In Schlauchbooten fahren sie täglich von der Station in Ny-Ålesund mit Planktonnetzen, Wasserschöpfern und Sonden hinaus, um vor Ort Messungen durchzuführen und Proben für ihre Laborarbeiten zu nehmen.
"Erste Trends werden wir schon im Verlauf der Studie ablesen können. Aber um einen Gesamtüberblick zu bekommen, sind nach Abschluss der Forschung noch diverse Analysen notwendig, so dass wir erst gegen Ende des Jahres verlässliche Aussagen treffen können." An dem multidisziplinären Experiment, das bis Mitte Juli läuft, beteiligen sich Molekular- und Zellbiologen, Biogeochemiker sowie Ozean- und Atmosphärenchemiker aus elf europäischen Instituten. Sie erwarten Erkenntnisse darüber, wie die empfindlichen arktischen Planktongemeinschaften auf die Ozeanversauerung reagieren und wie dies die Nahrungskette und die Biodiversität, den Kreislauf der Elemente, die Produktion klimarelevanter Gase und deren Austausch mit der Atmosphäre beeinflusst.
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