REACH für Anwender - Chemikaliengesetz auf dem Prüfstand

Experten berieten auf der Fresenius-Praxistagung über die Umsetzung der EU-Verordnung

29.06.2010 - Deutschland

Seit genau drei Jahren ist das neue EU-Chemikaliengesetz REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) in Kraft. Die Mehrheit der in der EU verwendeten Chemikalien musste bis zu diesem Zeitpunkt nicht auf ihre Umwelt- und Gesundheitsfolgen getestet werden, da das alte Chemikalienrecht nur die Testung von Neustoffen vorschrieb. Die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe bezieht sich jetzt aber auch auf Altstoffe beziehungsweise Phase-in-Stoffe. Sowohl Unternehmen als auch Behörden befinden sich dadurch im stetigen Anpassungs- und Optimierungsprozess und auch die Verordnung (EG) Nr. 1907/2009 ist vor einem Jahr um den Anhang XVII erweitert worden. REACH hat zum Ziel, die Sicherheit von Mensch und Umwelt zu verbessern und Herstellung, Import und Anwendung von Chemikalien innerhalb der EU zu kontrollieren - eine Herausforderung auf allen Ebenen. Auch wenn die Verordnung derzeit noch kein etabliertes flächendeckendes Regelwerk ist und einige inhaltliche Lücken aufweist, ist es das zurzeit weltweit umfassendste System zur Regulierung von Chemikalien. Grund genug, sich ausführlich damit zu beschäftigen: Vom 23. bis 24. Juni luden die Akademie Fresenius und das SGS Institut Fresenius zu einer Praxistagung „REACH für Anwender“ nach Köln ein.

Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) hat eine Liste mit etwa 4.400 Stoffen veröffentlicht, die zu den in 2010 vorgesehenen Stoff-Registrierungen gehören. Damit ist Deutschland mit Abstand das Land mit den meisten REACH-Registrierungen - Tendenz steigend. Die Durchführung der Registrierungen sei zwar weiterhin mühsam, aber die Durchlaufzeiten bei der ECHA verbesserten sich, sagte Dr. Volker Soballa von Evonik. Insgesamt rechne die ECHA mit 25.000 bis 75.000 Registrierungsvorgängen, so Soballa. Die Identifizierung und Risikobewertung von Chemikalien standen an diesen Tagen genauso im Mittelpunkt des Interesses wie die Themen Sicherheit, Überwachung und Kommunikation.

Produzenten und Importeure in der Pflicht

Zum Thema „Integriertes Testen und intelligentes Bewerten - neue Herausforderungen unter REACH“ sprach Dr. Jan Ahlers, wissenschaftlicher Direktor a.D. der Abteilung „Ökotoxikologische Bewertung von Stoffen“ des Umweltbundesamtes. Ahlers plädierte für die Entwicklung effizienterer Teststrategien (ITS) und forderte klare Regeln: „In REACH Implementation Projects (RIP) wurden entsprechende Rahmenbedingungen erarbeitet. Wir benötigen Leitfäden, um vorhandene Daten identifizieren und evaluieren zu können. Dabei sind auch endokrine Wirkungen zu berücksichtigen. Außerdem müssen wir neue In-vivo- und In-vitro-Daten erzeugen“. Alle Abweichungen von der Standardprozedur müssten sorgfältig begründet werden. Ebenso wichtig sei es, Evaluierungsschritte und Rückschlüsse zu dokumentieren, zu rechtfertigen und zu kommunizieren, ergänzte Ahlers. Auch Dr. Andreas Butschke (Bundesamt für Schutz und Lebensmittelsicherheit) sieht die Unternehmen in der Pflicht: „Der Produkthersteller ist während der Lebenszeit des Produktes verantwortlich: Er muss sich vom Rohstofflieferanten die Rechtskonformität bestätigen lassen und muss gegebenenfalls auch im Einzelhandel stichpunktartig die Produkte überprüfen – so schreibt es das Geräte- und Produktsicherheitsgesetz vor.“

Die Qual der Wahl: Methoden zur Stoff-ID

Thorsten Brackhane (SGS Institut Fresenius) sprach über die praktische Durchführung der Identifizierung besonders besorgniserregender Stoffe (SVHC) und stellte eine Auswahl von Analysemethoden vor. Entsprechend der europäischen Verordnung muss eine Firma für jeden zu registrierenden Stoff ein individuelles Dossier erstellen, also eine Stoffidentifikation vornehmen. Aber: „REACH legt keine Regeln oder Methoden zur Durchführung einer solchen Stoff-ID fest, sodass prinzipiell alle anwendbaren analytischen Methoden für organische und anorganische Stoffe möglich sind“, bemängelte Brackhane am Status quo der Verordnung. Das Spektrum analytischer Methoden zur Stoff-ID reiche von einfachen Titrationen bis zu komplexen HPLC-MS-MS und XRD Analysen. Analytische Stolpersteine bei der Identifizierung seien zum Beispiel störende Verunreinigungen, Temperaturempfindlichkeit eines Inhaltsstoffes sowie unbekannte Inhaltstoffe im Prozentbereich - etwa wenn keine Referenzspektren oder Substanzen vorhanden sind. „Und wenn keine Methode verfügbar ist, muss diese erst von dem Labor entwickelt werden - das führt wiederum zu Verzögerungen und verursacht zusätzliche Kosten“, sagte Brackhane.

Information, Überwachung und Kommunikation

Dr. Andrea Mayer-Figge (Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales, NRW) stellte auf der Fresenius-Praxistagung das Ergebnis des ersten EU-weiten Überwachungsprogramms REACH-EN-FORCE-1 vor. Bei der Überprüfung wurde festgestellt, dass in rund sechs Prozent der Unternehmen die erforderlichen Sicherheitsdatenblätter (SDB) gar nicht oder nur teilweise verfügbar waren. Bei den Vorlieferanten waren sogar 40 Prozent der SDB nicht verfügbar. Zusätzlich wurden rund zehn Prozent der SDB aus formalen Gründen beanstandet. Damit die Ergebnisse im nächsten Durchlauf (REACH-EN-FORCE-2 in 2011) besser ausfallen, rät Mayer-Figge: „Eine wesentliche Voraussetzung für die Einhaltung der REACH-Verpflichtungen ist eine unternehmensinterne Vernetzung der Bereiche Einkauf, Produktion, Umwelt-, Arbeits- und Gesundheitsschutz. Eine weitere zentrale Herausforderung mit großer Bedeutung für die Unternehmen ist eine bessere Kommunikation innerhalb der Lieferkette.“

Genau an diesem Punkt setzte Referent Patrick Hötzel von der Clariant Produkte GmbH an und ging der Frage nach: Was sichert eine erfolgreiche und effektive Kommunikation in der Lieferkette? Seine Antwort: „Viele Akteure, komplexe Lieferketten und hohe Datenmengen sind nur mittels standardisierter, elektronischer Tools beherrschbar. Zur Bewältigung der Kommunikation in der Lieferkette ist eine gute Vorbereitung, eine klare Strategie sowie eine gute Kenntnis der entsprechenden ECHA- beziehungweise Cefic-Dokumente notwendig.“ Die Kommunikation in der Lieferkette sei mindestens bis 2018 relevant. „Ist diese jetzt schon klar strukturiert, wird man in den folgenden Jahren davon profitieren können“, prognostizierte Hötzel.

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