Max-Planck-Forscher benutzen neues Mikroskop, um Kristallschwingungen im Nanometerbereich sichtbar zu machen

12.07.2002

In einem kürzlich entwickelten Nahfeldmikroskop haben Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried erstmals Kristallschwingungen mit nanometrischer Ortsauflösung sichtbar gemacht (Nature, 11. Juli 2002). Mit Hilfe von Infrarotlaserstrahlen konnten sie die Resonanz der Kristallschwingung, die so genannte Phonon-Resonanz, aufzeichnen. Die neue Technik macht kleinste Kristallveränderungen und -verunreinigungen im Bereich von nur einem Hunderttausendstel Millimeter sichtbar und eröffnet neue Möglichkeiten für die Erforschung von Materialien und biologischen Mineralien wie Zähnen und Knochen. Sogar technische Innovationen etwa für die Datenspeicherung sind möglich und wurden bereits zum Patent angemeldet.

Die Faszination der Menschen für Kristalle rührt daher, dass sie im Licht glänzen, dieses also reflektieren. Weit außerhalb der sichtbaren Wellenlängen des Spektrums (400 bis 700 Nanometer; 1 Nanometer = 1 Millionstel Millimeter), im Infrarotlicht, reflektieren viele Kristalle das Infrarotlicht sogar wie ein metallischer Spiegel zu 100 Prozent. Das liegt daran, dass die Atome in ihrem Kristallgitter ständig gegeneinander schwingen, und deshalb das infrarote Licht nicht in den Kristall eindringen kann. In der Theorie hatte man schon lange die Möglichkeit eines resonanzhaften Zusammenspiels dieser Schwingungen mit Infrarotstrahlung vorausgesagt, es war bislang aber nicht möglich, dieses wirklich sichtbar zu machen. Der Durchbruch ist jetzt dem Forscherteam Rainer Hillenbrand, Thomas Taubner und Fritz Keilmann in der Abteilung "Molekulare Strukturbiologie" des Max-Planck-Instituts für Biochemie gelungen.

Die Martinsrieder Wissenschaftler beleuchteten einen Siliziumkarbid-Kristall mit Infrarotlicht mit einer Wellenlänge zwischen 8 und 12 Mikrometer ( 1 Mikrometer = 1000 Nanometer) und betrachteten ihn dabei in ihrem so genannten "Nahfeldmikroskop". Bereits 1999 hatten sie mit ihrem chemischen Mikroskop für die Nanotechnik für Schlagzeilen gesorgt (vgl. Nature 399 (1999), Physics Today 7/1999, "Chemisches Mikroskop für die Nanotechnik" PRI C5/99 (14)). Damals hatten sie die Technik des herkömmlichen Rastersondenmikroskops mit Infrarotbeleuchtung ergänzt und bewiesen, dass sie hundert Mal feinere Details als das Lehrbuch erlaubt erkennen können, nämlich 1/100 der Wellenlänge. Die Infrarottechnik erlaubt es, erstmals die chemische Zusammensetzung auf nanometrischer Skala abzubilden. Beim Rastersondenmikroskop wird eine gerade einmal 20 Nanometer breite Abtastnadel in minimalem Abstand rasterartig über eine Kristalloberfläche bewegt. Auf diese Weise werden die Höhen und Tiefen der Oberfläche aufgezeichnet und im Computer zu einem dreidimensionalen Oberflächenrelief des Kristalls zusammengesetzt.

Wie bereits vor drei Jahren kombinieren die Wissenschaftler auch in ihrem neuesten Mikroskop die Abtastnadel des Rastersondenmikroskops mit den Infrarotstrahlen von Lasern. Die Nadel wirkt für das eingestrahlte Infrarotlicht wie eine Antenne, die das Licht an ihrer Spitze stark bündelt. Die Resonanz der Schwingungen zeigt sich im reflektierten Infrarotlicht, das von einem Detektor aufgefangen wird (s. Abbildung). Trifft der Laserstrahl die Frequenz der Kristallschwingung, wird die Lichtkonzentration extrem verstärkt. Die neu entwickelte Nahfeldtechnik, gleichsam eine "Nano-Lupe", bündelt das Licht 300 mal schärfer als die beste Fokussierlinse. Diese gesteigerte Lichtintensität ermöglicht nun, in Kristallen kleinste Veränderungen bei einer Auflösung von nur einem Hunderttausendstel Millimeter (10 Nanometer) sichtbar zu machen. Zum Vergleich: Ein herkömmliches Lichtmikroskop kann Strukturen bis zu einem Tausendstel Millimeter sichtbar machen. Das neue Mikroskop aus Martinsried kann man deshalb auch als optisches "Nanoskop" bezeichnen.

Die Physiker am Max-Planck-Institut für Biochemie berechneten, dass die entscheidende Wellenlänge für die Wechselwirkung von Siliziumkarbid-Kristallen mit dem Laser bei 10,8 Mikrometer Wellenlänge liegen müsste. Als sie ihre Abtastantenne in einem Abstand von weniger als 30 Nanometern an den Kristall heranführten, stellten sie begeistert fest, dass sich die Infrarotfarbe (also das Infrarotspektrum) des Kristalls in diesen nanoskopisch kleinen Dimensionen völlig veränderte. Während der Kristall bei Infrarotbeleuchtung normalerweise metallisch glänzt, leuchtet er im Nano-Zoom hell und "farbig" auf. Im Infrarotbild bei 10,8 Mikrometer Wellenlänge zeigt sich diese Resonanz dadurch, dass der Siliziumkarbid-Kristall im Vergleich zu Gold etwa 200 Mal heller aufleuchtet.

Mit ihrem Experiment hat die Arbeitsgruppe unter Leitung von Fritz Keilmann erstmals den praktischen Beweis für die Phonon-Resonanz geliefert, die die Wissenschaftler in ihrer aktuellen Publikation "Phonon-verstärkte Nahfeldwechselwirkung" nennen. Als sie ihre Berechnungen mit bisherigen Veröffentlichungen zu diesem Thema verglichen, stellten sie fest, dass die Phonon-Resonanz bereits vor neunzehn Jahren von den Wissenschaftlern Aravind und Metiu (University of California, Santa Barbara, USA) vorhergesagt worden war.

Mit ihrer Entdeckung haben die Martinsrieder Physiker die Grundlage für infrarot-optische Technologien gelegt, die gegenüber den auf "Plasmonen" (kollektive Schwingungen der Elektronen) beruhenden optischen Nanotechnologien über höhere Lichtintensitäten und schärfere Resonanzen verfügen. Die extreme Frequenzschärfe der Resonanz (<1%) bedeutet für die Technik einen großen Forschritt: Schon kleinste Veränderungen in einem Kristall - sei es durch Verzerrung oder Verschmutzung - verstimmen die Resonanz und werden mit dem neuen "Nanoskop" leicht erkannt. Dies eröffnet interessante Aussichten für die Materialwissenschaften und die Mineralogie: Während man bisher nur wenig aussagekräftige breite Infrarotspektren zur Verfügung hatte, sollte man im Nahfeld-Infrarotmikroskop bei 10 Nanometer Auflösung einzelne Komponenten von Mischkristallen, z. B. in Ölschiefer und Meteoriten, deutlich unterscheiden können. Weitere Anwendungen zeichnen sich bei der Untersuchung von Kristallwachstum und Kristalldegeneration in biologischen Mineralien ab, wie z.B. in Zähnen oder Knochen (Osteoporose). Zudem bietet die Kombination der Phonon-Resonanz mit der Nahfeldmikroskopie auch neue Möglichkeiten für die Datenspeicherung: Im Vergleich zu konventionellen optischen Leseverfahren (CD-ROM, MO, DVD) können Daten mit hundert Mal größerer Speicherdichte optisch ausgelesen werden.

Insgesamt gibt die erstmalige experimentelle Bestätigung der Phonon-Resonanz dem gesamten Bereich der Optik, Photonik und Mikroskopie eine neue Richtung: Jetzt lohnt es sich, auch die Infrarotstrahlung im mittleren Infrarot (3-30 Mikrometer Wellenlänge) zu verwenden, zusätzlich zum sichtbaren Bereich (400 - 700 Nanometer Wellenlänge) und zum Nah-Infrarot in der Telekommunikation (1,5 Mikrometer Wellenlänge). Die derzeit stürmisch verlaufende Entwicklung winziger Halbleiterlaser (Quantenkaskadenlaser) kommt den Martinsrieder Mikroskop-Entwicklern dabei sehr entgegen. Sie benötigen in Zukunft neue Halbleiterlaser für die Weiterentwicklung ihres Nahfeldmikroskops, um künftig auch aus biologischen Bausteinen erzeugte Kristalle untersuchen zu können.

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