Wie sich Elektronen bewegen
Auf der Ebene der Atome und Moleküle funktioniert unsere Alltagsvorstellung von der Welt nicht mehr. Ein Elektron stellen wir uns normalerweise als ein kleines Teilchen vor. „Das ist es auch“, sagt Prof. Marc Vrakking, Direktor am Max-Born Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie (MBI) in Berlin. „Um es verstehen zu können, müssen wir es aber manchmal aus der quantenmechanischen Sicht betrachten und uns als Wellenpaket vorstellen.“ Mit dieser abstrakten Vorstellung können die Physiker dann Phänomene erklären, die hinterher wieder mit unserer Alltagsvorstellung übereinstimmen.
Da man die Bewegung eines Elektrons nicht direkt beobachten kann, weil es zu schnell ist, hat das europäische Forscher-Team die Eigenschaften des Elektrons als Wellenpaket gemessen. Sobald sie alle Eigenschaften dieses Wellenpakets kannten, waren sie in der Lage, daraus die komplette Bewegung des Elektrons abzuleiten.
Für das Experiment haben die Forscher das Prinzip der Überlagerung von Wellen verwendet, die sogenannte Interferenz. Sie sind dabei genauso vorgegangen, wie bei Experimenten mit Lichtstrahlen, bei denen regelmäßiges Licht durch zwei Schlitze fällt und auf dem Schirm dahinter helle und dunkle Streifen zu sehen sind. Die Lichtstrahlen verhalten sich dabei wie Wellen - treffen zwei Wellenberge aufeinander, ergibt sich ein heller Streifen, ein Wellenberg und ein Wellental heben sich auf und erscheinen als dunkler Streifen.
Um ein Wellenpaket zu charakterisieren, als das die Physiker das Elektron betrachten, haben sie zunächst ein zweites Wellenpaket erzeugt, analog zu dem zweiten Schlitz für den Lichtstrahl: Mit einem Attosekunden-Laserpuls haben sie dafür ein Elektron aus dem untersuchten Atom herausgelöst. Ein Attosekunden-Laserpuls dauert ein Milliardstel einer Milliardstel Sekunde. Da die Forscher diesen Laserpuls kontrollieren, kennen sie nun die Eigenschaften des heraus gelösten Elektrons - und damit auch des Wellenpakets, als das sie es sich vorstellen. Überlagern sie nun dieses erzeugte Wellenpaket mit dem unbekannten Wellenpaket, können sie aus dem Interferenzmuster auf die unbekannten Eigenschaften schließen.
Die Methode erklärt Matthias Kling vom Labor für Attosekundenphysik am Max-Planck-Institut für Quantenoptik: „Für ein aussagekräftiges Interferenzmuster mussten wir das unbekannte Wellenpaket zunächst auf das gleiche Energieniveau wie das von uns zuvor erzeugte bekannte Wellenpaket anheben, welches durch den Attosekunden-Laserpuls viel mehr Energie hat als das unbekannte Wellenpaket in seinem ursprünglichen Zustand. Um diese Interferenz herzustellen, haben wir einen Infrarot-Laserpuls verwendet.“ Bei sehr großen Energieunterschieden ergibt sich kein echtes Interferenzmuster - das wäre so, als könnte man bei den Lichtstrahlen noch erkennen, durch welchen Schlitz das Licht gefallen ist. Durch die Überlagerung der beiden gleichwertigen Wellenpakete konnten die Forscher das bekannte Muster herausrechnen und erhielten so das unbekannte Muster.
Um ein Wellenpaket zu charakterisieren, müssen die Physiker dessen verschiedene Zustände kennen und wie groß die Anteile dieser Zustände am Wellenpaket sind. „Wir nennen das die Bevölkerung der Zustände“, sagt Vrakking. Außerdem müssen die Phasen der Wellen bekannt sein, also die zeitliche Verschiebung gegeneinander. Wenn sie diese Faktoren kennen, kehren die Wissenschaftler wieder in unsere ganz normale Vorstellungswelt zurück und beschreiben die komplette Bewegung der Elektronen, die man sich dann wieder als Teilchen denken darf.
Originalveröffentlichung: J. Mauritsson et al.; "Attosecond Electron Spectroscopy Using a Novel Interferometric Pump-Probe Technique"; Physical Review Letters 105, 053001 (2010) 30 July 2010
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