Windeln als Meerwasserfilter

15.05.2012 - Deutschland

Für 700 Millionen Menschen weltweit, so die UN, ist Trinkwasser knapp. Abhilfe kann in Küstengebieten die Entsalzung von Meerwasser schaffen. Die gängigen Methoden, vor allem Destillation und Umkehrosmose, benötigen jedoch viel Energie – und sind für die oft armen Regionen zu teuer. Chemiker des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) arbeiten an einem völlig neuen Verfahren. Quellfähige Kunststoffpartikel (Superabsorber), ähnlich denen in Windeln, dienen dabei als Filter: Beim Quellen nehmen sie nur einen Teil des Salzes auf, beim Auspressen geben sie salzarmes Wasser ab.

Grafik: Johannes Höpfner, KIT

Aufbau zum Entsalzen von Meerwasser mit Hilfe von Druck.

Dass das Prinzip funktioniert, haben Professor Manfred Wilhelm und sein Doktorand Johannes Höpfner vom Institut für Technische Chemie und Polymerchemie des KIT bereits nachgewiesen. Mit ihrem Verfahren können sie den Salzgehalt in einem Durchlauf um mehr als ein Drittel reduzieren. Als Quellmaterial dient ein Hydrogel auf Acrylsäurebasis: kugelförmige, vernetzte Polymere, die in Wasser aufquellen und das 100-fache ihrer Masse aufnehmen können. Das Besondere daran sind die geladenen Gruppen in den Polymeren: Beim trockenen Material ist die Ladungsdichte hoch – und sorgt dafür, dass das Salz zunächst abgestoßen wird und vor allem Wasser eindringt. Quillt das Netz weiter auf, wird die Ladungsdichte geringer und Salz dringt ein. „An diesem Punkt drehen wir den Prozess um: Wir pressen das aufgequollene Hydrogel mechanisch wieder aus, ähnlich wie einen Schwamm“, sagt Johannes Höpfner. „Das Wasser hat dann gegenüber Meerwasser bereits einen deutlich reduzierten Salzgehalt.“ Der Salzgehalt von Meerwasser entspricht 35 Gramm Natriumchlorid pro Liter. „Wir wollen im ersten Durchlauf auf zehn Gramm kommen, im zweiten auf drei und im dritten schließlich auf ein Gramm pro Liter – das ist eine Menge, die man trinken kann“, so Manfred Wilhelm.

Zurzeit arbeitet Johannes Höpfner daran, den Superabsorber genau auf diese Verwendung anzupassen. „In Windeln muss das Material auch unter Druck, wenn das Baby darauf sitzt, trocken bleiben. Bei uns soll es – um Energie zu sparen – die Flüssigkeit gerade mit möglichst wenig Druck wieder abgeben.“ Erreichen will er dies etwa über eine chemisch ideal eingestellte Vernetzungs- und Ladungsdichte der Hydrogele. „Setze ich die Knotenpunkte und damit die Ladungen sehr eng, sind die Kugeln sehr hart: Das hat den Vorteil, dass das Salz sehr gut abgestoßen wird, allerdings brauche ich dann viel Energie, um das Hydrogel auszupressen. Hier geht es darum, das Optimum zu finden“, erläutert der Doktorand. Um das Verfahren anhand detaillierter Analysedaten weiterzuentwickeln, hat er einen präzisen Teststand konstruiert: eine Halbliter-Hydraulikpresse, die Polymer und Wasser voneinander trennt, und an der sich der Stempelweg, Druck und Salzgehalt genau messen lassen. Die Daten fließen dann auch in Computersimulationen, die in Kooperation mit der Universität Stuttgart durchgeführt werden.

Mit ihrer Idee stießen Wilhelm und Höpfner bereits bei mehreren Firmen auf großes Interesse. Ob sie den Weg in die Anwendung findet, hängt unter anderem von der Energiebilanz ab. „Für die gängigen Verfahren Destillation und Umkehrosmose, die unter Druck über eine Membran Süßwasser von salzhaltigerem Wasser trennt, benötigt man in der Praxis zwischen drei und zehn Kilowattstunden pro Kubikmeter Wasser. Ob wir besser sind, wissen wir noch nicht – aber wir arbeiten aktuell an der Abschätzung“, sagt Manfred Wilhelm. Destillation und Umkehrosmose werden in der Regel aber durch Dieselgeneratoren angetrieben, beim Verfahren der Karlsruher Chemiker wäre ein direkter Antrieb über ein Windrad denkbar – rein mechanisch und somit sehr effektiv.

Die Polymerpresse könnte damit eine besser skalierbare Alternative zu den herkömmlichen Verfahren darstellen, die technische Umsetzung ist aber noch offen. „Wir schaffen die naturwissenschaftlichen Grundlagen, eine entsprechend größere Anlage zu entwickeln, wäre dann Aufgabe für Chemieingenieure und Maschinenbauer“, sagt Manfred Wilhelm. Bei möglichen Anwendungen denkt er aber vor allem an Nischen, beispielsweise eine Kartusche, die es ermöglicht, Meerwasser von Hand auszupressen und so mobil und unkompliziert Trinkwasser zu gewinnen. Lohnen könnte sich das Verfahren insbesondere bei der Aufbereitung von Brackwasser, da es umso besser funktioniert, je niedriger der Salzgehalt ist.

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