CO2-Recycling zu Polymeren und Kraftstoffen – eine Herausforderung für eine nachhaltige Chemie

11.07.2012 - Deutschland

Die Emissionen von Kohlendioxid (CO2) sind maßgeblich für den Treibhauseffekt und damit für den Klimawandel verantwortlich. Die Reduzierung der CO2-Emissionen steht daher ganz oben auf der weltweiten politischen Agenda. Parallel dazu laufen Versuche, CO2 aus Kraftwerken unterirdisch zu speichern und damit der Atmosphäre zu entziehen.

Zunächst erscheint es paradox, das energiearme und reaktionsträge Molekül Kohlendioxid nutzen zu wollen. Erhebliche Anstrengungen in Forschung und Entwicklung haben in den letzten Jahren neue innovative CO2-Recycling-Technologien und die Vision einer Kohlendioxidwirtschaft entstehen lassen. Für alle großen Unternehmen der Chemie- und Kunststoffbranche ist CO2-Recycling in kürzester Zeit zu einem heißen Zukunftsthema geworden. Laut Wirtschaftswoche würdigen auch die Nobelpreisträger George Olah und Josef Stiglitz das Gas als künftigen Kraftstoff und Rohstoff der chemischen Industrie.

In den letzten drei Jahren haben das US-Energieministerium und das deutsche Bundesforschungsministerium (BMBF) jeweils etwa 100 Millionen Euro zur Erforschung der neuen CO2-Nutzungen bereit gestellt. Und die Investitionen zeigen bereits konkrete Früchte: Evonik, BASF und Bayer Material Science arbeiten intensiv an CO2-Polymeren. Siemens und BASF zeigten auf der ACHEMA in Frankfurt im Juni 2012 bereits erste Anwendungen in Haushaltsgeräten wie Kühlschrankeinlagen und Staubsaugerabdeckungen. Die Automobil- und Flugzeugbranche arbeiten an Kraftstoffen, die weder von Erdöl noch von Biomasse abhängig sind, sondern nur auf Solar- und Windenergie sowie CO2 beruhen. Ein neuer Zweig der Chemie hat soeben begonnen: Das Recycling, die Kaskadennutzung von CO2 in Form eines Rohstoffes für die chemische Industrie. Nun müssen neue chemische und elektrochemische Reaktionen entdeckt und Technologien weiter entwickelt werden, wie z.B. die effiziente Abscheidung und Reinigung von CO2 aus dem Abgasstrom - vom Klimakiller zum nachhaltigen Rohstoff.

Alessandra Quadrelli von der Universität Lyon sieht CO2 bereits als einer der wichtigsten zukünftigen Grundstoffe der Chemieindustrie. Ihren Rechnungen nach könnten die innovativen Nutzungen von CO2 in der Chemie bis zu 10% der global erforderlichen Treibhausgasreduktionen erbringen.

CO2-Polymere – neue Optionen für die Kunststoffindustrie

Wichtigstes neues CO2-Polymer ist Polypropylencarbonat (PPC), das bereits vor 40 Jahren von Inoue entwickelt wurde, aber erst heute die Bedeutung bekommt, die es verdient. PPC besteht zu 43 Gewichtsprozent aus CO2 und ist biologisch abbaubar, zeigt eine hohe Temperaturstabilität, hohe Elastizität und Transparenz sowie einen Memory-Effekt. Damit steht PPC ein großes Spektrum an Anwendungen offen: Verpackungsfilme und Schäume, Dispersionen und Weichmacher für spröde Kunststoffe in unzähligen Anwendungen. An der Entwicklung und Produktion von PPC arbeiten unter anderen die US-amerikanischen Unternehmen Novomer und Empower Materials, das norwegische Unternehmen Norner und das Unternehmen SK Innovation in Südkorea.

Bayer Material Science zeigte auf der ACHEMA Blöcke aus Polyurethan, das auf Basis von CO2-Polyolen hergestellt wurde. Die Nutzung von CO2 ersetzt dabei einen Teil des Erdöls. Die industrielle Fertigung von Schaumstoffen für Matratzen und Isolationsmaterialien für Kühlschränke und Gebäude soll 2015 beginnen.

PPC als weichmachende Komponente für Biokunststoffe

Viele bio-basierte Kunststoffe – wie z.B. PLA und PHA – sind von Haus aus so spröde, dass sie in vielen Anwendungen nur mit Additiven eingesetzt werden können. Nun bietet sich eine neue Option an: Mit Kombinationen aus PPC und PLA bzw. PHA kann ein stark erweitertes Spektrum an Materialeigenschaften abgedeckt werden. Dabei bleibt das Material biologisch abbaubar und lichtdurchlässig und kann problemlos auf gängigen Maschinen verarbeitet werden. Die von Bosch-Siemens-Hausgeräte (BSH) auf der ACHEMA gezeigte Staubsaugerabdeckung besteht überwiegend aus PPC und PHA von BASF und soll als Substitut für den Massenkunststoff ABS dienen. Erste interne Ökobilanzen zeigen deutliche Vorteile für das neue Material. In den Einlageböden für Kühlschränke kamen Kombination aus PPC und PLA zum Einsatz.

Kraftstoffe aus Wind- und Solarenergie und CO2

Um CO2 als Kraftstoff nutzen zu können, muss externe Energie zugeführt werden. Hierzu bieten sich vor allem Überschüsse von Wind- und Solarstrom an, wie sie in Deutschland bereits regelmäßig auftreten. Mit dem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien bekommt die Frage der Speicherung eine zentrale Bedeutung.

Wird der überschüssige Strom zur Produktion von Wasserstoff (H2) aus Wasser genutzt, so kann dieser zusammen mit CO2 in unterschiedliche Kraftstoffe konvertiert werden. Zunächst entsteht aus der Reaktion von H2 und CO2 Methan (CH4), das ins Gasnetz eingespeist werden kann. Weiterführende chemische Prozesse führen zu Methanol, Benzin, Diesel oder auch Kerosin. Die in einem BMBF-Projekt weiter optimierte Hoch-Temperatur-Dampf-Elektrolyse erreicht inzwischen einen Wirkungsgrad (Strom zu Wasserstoff) von 70%.

Ein Firmenkonsortium in Island hat 2011 mit dem Bau der ersten kommerziellen Anlage begonnen, die pro Jahr 5 Millionen Liter Methanol aus CO2 herstellen wird. Dies wären 2,5% des isländischen Kraftstoffbedarfs.

CO2 als Wachstumssubstrat für Algen und Bakterien

Die weltweit wichtigste Verwendung von CO2 findet täglich vor unseren Augen statt: Mit Hilfe der Photosynthese (unter Nutzung des Sonnenlichts) wandeln Pflanzen Kohlendioxid in Zucker um, die sie dann für die Herstellung aller wichtigen Biomoleküle verwenden. Auch dies lässt sich wirtschaftlich nutzen: In großen Bioreaktoren werden Algen mit Kohlendioxid, das in Kraftwerken entsteht, begast und produzieren auf dieser Basis Biomasse.

Aber auch einige Bakterien können CO2 nutzen. Diese sogenannten acetogenen Bakterien besitzen einen Stoffwechsel, der es ihnen ermöglicht, CO2 gemeinsam mit einem Gemisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff (Synthesegas) als Wachstumssubstrat zu nutzen und auf dieser Basis verschiedene Produkte wie Aceton, Butanol und Ethanol zu produzieren. In einem gemeinsamen Projekt der RWE und des Biotech-Unternehmens Brain konnten in Kraftwerksschloten etliche Bakterienstämme isoliert werden, die zu einer solchen Nutzung in der Lage sind.

Über molekularbiologische Veränderung der Bakterien können jedoch auch andere Produkte als Zielprodukte erreicht werden, darunter etwa die, für die Herstellung des als Plexiglas bekannten Polymers PMMA notwendige, Acrylsäure sowie das Biopolymer PHB. Über die Methoden der Synthetischen Biologie ließen sich in Zukunft gar maßgeschneiderte Bakterien für eine optimierte CO2-Nutzung herstellen. Vor allem Evonik arbeitet an der Herstellung von verschiedenen Chemikalien, während das neuseeländische Unternehmen LanzaTech an der Entwicklung von Flugzeugtreibstoffen und Spezialchemikalien auf der Basis von Butanol aus der CO2-Fermentation arbeitet.

Konferenz zum Thema CO2 als Rohstoff in Deutschland

Am 10. und 11. Oktober 2012 veranstaltet das nova-Institut im Haus der Technik, Essen die englischsprachige „Conference on Carbon Dioxide as Feedstock for Chemistry and Polymers“ mit begleitender Ausstellung. Sämtliche Facetten der neuen CO2-Nutzungen werden umfassend präsentiert und diskutiert. Als Referenten zugesagt haben bereits führende internationale Wissenschaftler und Unternehmen aus Deutschland (BASF, Bayer, Dechema, Evonik, Linde, Brain), Neuseeland (LanzaTech), den Niederlanden (DSM, ECN), Norwegen (Norner), Süd-Korea (SK Innovation) und USA (Empower Materials, Novomer). Erwartet werden über 400 Teilnehmer.

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