Die Spur der Zeit im optischen Spektrum
Mit kurzen Laserpulsen lässt sich die Form von Absorptionslinien maßschneidern, womit sich völlig neue experimentelle Möglichkeiten ergeben
© MPI für Kernphysik
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In den Naturwissenschaften geht es heute fast immer um Spitzenforschung: Wissenschaftler, egal ob Physiker, Chemiker oder Biologen, gewinnen heute einen Großteil ihrer neuen Erkenntnisse, indem sie Licht durch Proben schicken. Dabei messen sie, welches Licht, das heißt Licht welcher Farbe oder allgemeiner gesagt welcher Frequenz, Energie oder Wellenlänge, eine Probe aufnimmt. Auf diese Weise erhalten sie Spektren mit Peaks, also mehr oder weniger prägnanten Spitzen. Die Positionen, Höhen und Formen dieser Spitzen verraten ihnen viel über die Art und die Menge einer Probe, aber auch über die chemischen und physikalischen Prozesse darin.
Ein Team von Forschern des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg und der Purdue University im US-amerikanischen West Lafayette präsentiert nun eine neue Interpretationsmöglichkeit bestimmter Peaks. Damit schaffen die Physiker gleichzeitig neue Möglichkeiten, die Spektren zu verändern und so bislang im Dunkeln liegende Eigenschaften von Atomen, Molekülen und Festkörpern – das sind alle Materialien im festen Aggregatzustand – zu entdecken.
Die Forscher untersuchten eine seit langem bekannte außergewöhnliche Wechselwirkung zwischen Licht und Materie: die Fano-Resonanz, die in Spektren auch ein typisches Signal hinterlässt. Anders als die gewöhnlichen Peaks, die Physiker Lorentz-Linien nennen, orientieren sich die Spitzen einer Fanolinie nicht nur in eine Richtung. Vielmehr sind sie als zwei ineinander übergehende Spitzen mit genau entgegengesetzter Richtung zu erkennen und ähneln den Signalen eines Elektrokardiogramms.
Die Signaturen der Absorption sind wandelbar
„Wir haben nun festgestellt, dass wir die Fanolinie mit einem sehr kurzen Laserpuls in eine Lorentzlinie umwandeln können und umgekehrt“, sagt Thomas Pfeifer, der am Heidelberger Max-Planck-Institut eine selbständige Forschungsgruppe leitet. „Indem wir die Linienform kontrollieren, können wir Prozesse etwa in energetisch angeregten Atomen und Molekülen untersuchen, die mit der herkömmlichen Spektroskopie nicht zugänglich sind“, erklärt Thomas Pfeifer.
Doch die Kontrolle über die Linienform schafft nicht nur neue experimentelle Möglichkeiten, sie überrascht die Physiker-Gemeinde auch mit einigen Implikationen für die Natur zeitabhängiger Quantenprozesse. Um das nachvollziehen zu können, hilft ein genauer Blick auf das bisherige Verständnis der Lorentz- beziehungsweise Fano-Linien und die neuen Erkenntnisse, mit denen das Heidelberger Team dieses Verständnis erweitert, um nicht zu sagen umkrempelt.
Die einfache Spitze einer Lorentzlinie entsteht, wenn ein Atom auf die simpelste Weise Licht absorbiert. Dabei nimmt ein Elektron Energie auf und hüpft, vereinfacht gesprochen, von einem niedrigen Energieniveau zu einem höheren. So jedenfalls betrachten Quantenphysiker die Absorption. Der Vorgang lässt sich aber auch in einem Modell der klassischen Physik noch recht einfach beschreiben. Demnach bringt das elektromagnetische Feld des Lichts in einem Atom einen Dipol zum Schwingen. Dieser Dipol entsteht für kurze Zeit, wenn die Elektronenwolke im Atom aus ihrer stabilen Ruheposition ausgelenkt wird.
Die Fano-Resonanz wurde bislang nur als Quantenprozess betrachtet
„Die Fano-Resonanz galt dagegen bislang als rein quantenmechanischer Prozess“, erklärt Thomas Pfeifer. Sie tritt auf, wenn ein Atom, das mindestens zwei Elektronen besitzt, mit so hoher Energie bestrahlt wird, dass ein Elektron aus dem Atom herauskatapultiert wird. Dabei konkurrieren zwei Möglichkeiten, wie das Elektron aus dem Atom fliegen kann: Entweder es nimmt so viel Energie auf, dass es das Atom unmittelbar verlässt. Oder es werden zunächst zwei Elektronen angeregt, sodass sie beide in eine neue Umlaufbahn springen. Da sie sich dort aber abstoßen, fällt eines zurück in den ursprünglichen Zustand, während das andere mit dem zusätzlichen Energieschub davon saust.
Solche konkurrierenden Prozesse, die mit gewissen Wahrscheinlichkeiten auch beide gleichzeitig stattfinden – Physiker sprechen von überlagerten Zuständen oder einer Interferenz – sind nur in der Quantenwelt möglich. Daher hat sich noch niemand daran versucht, die Fano-Resonanz in Atomen mit den Mitteln der klassischen Physik zu beschreiben – bis jetzt. Thomas Pfeifer und seine Kollegen haben sich jetzt nämlich überlegt, wie sich die Fano-Resonanz im Bild eines kurzzeitig schwingenden Dipols präsentieren würde.
Wann die Schwingung einsetzt, entscheidet über die Linienform
Dabei stellten sie fest, dass zwischen einer gewöhnlichen Absorption, die im Spektrum eine Lorentz-Linie hinterlässt, und einer Fano-Resonanz im klassischen Bild ein sehr einfacher Zusammenhang besteht: Der Punkt, an dem die Schwingung des Dipols einsetzt, verschiebt sich bei der Fano-Resonanz einfach um einen gewissen Betrag. Das lässt sich mit einem Kind auf einer Schaukel vergleichen: Man kann das Kind anstoßen, wenn die Schaukel an ihrem tiefsten Punkt hängt. Man kann Schaukel und Kind aber auch erst hochziehen und dann anschubsen. Physiker sprechen davon, dass die Phase der Dipol-Schwingung bei der Fano-Resonanz leicht verschoben ist. Als Phase bezeichnen sie die Position einer Welle relativ zu einem Fixpunkt; bei einer Phasenverschiebung wird eine Welle bezogen auf diesen Fixpunkt oder bezogen auf eine zweite Welle verrückt.
„Der Zusammenhang zwischen der quantenmechanischen Beschreibung der Fano-Resonanz und ihrer klassischen Darstellung lässt sich auch mathematisch sehr einfach ausdrücken“, erklärt Thomas Pfeifer. „Das hat uns genauso überrascht wie die Tatsache, dass dieser einfache Zusammenhang vorher offenbar noch niemandem aufgefallen ist." Die Beziehung haben die Forscher gefunden, indem sie die Absorptionsprozesse in ihre zeitlichen Elementarschritte zerlegten.
Die theoretische Erkenntnis des Heidelberger Teams machte klar: Die Linienform lässt sich durch die Phase der Dipolschwingung beeinflussen. Das wiederum ist auf vielfältige, teils recht einfache Weisen möglich. Die zuverlässigste setzten die Heidelberger Physiker gleich im Experiment um: Sie schossen neben einem anregenden Laser einen zweiten sehr kurzen infraroten Laserpuls auf ein Heliumatom, um das ein angeregtes Elektron schwirrte. Der zweite Laserblitz, ohne den die Forscher eine Lorentz-Absorption gemessen hatten, verpasste dem Elektron einen kleinen Stoß. Dadurch verschob sich die Phase der Dipolschwingung und die Forscher registrierten in ihrem Spektrum eine Fano-Linie – in einem Atom, das mit einem Elektron gar nicht zu dem Prozess in der Lage ist, der bislang als Ursache dieser Linienform galt.
Frequenzkamm und Lichtverstärkung ohne Laser
„Mit Laserpulsen, die die Phase verschieben, können wir also die Linienform einer Absorption kontrollieren, und in Zukunft wohl auch maßschneidern“, erklärt Pfeifer. Und da ist vieles denkbar: So könnten die Forscher mit geschickt gesetzten Pulsen aus einem breiten Signal Zacken herausschneiden und erhielten auf diese Weise einen Frequenzkamm. Ein Frequenzkamm erlaubt dank seiner sehr scharfen Linien extrem präzise Messungen von Frequenzen, wie sie heute in vielen Experimenten zu fundamentalen Tests der Quantenphysik erforderlich sind. „Anders als mit der herkömmlichen Methode könnten wir prinzipiell mit den geformten Pulsen Frequenzkämme bei beliebigen Frequenzen erzeugen", sagt Pfeifer.
Die Maßarbeit an den Linien eines Spektrums erlaubt es aber sogar, noch massiver in die Wechselwirkung zwischen Licht und Materie einzugreifen. Sie ermöglicht es nämlich, die Absorption in ihr Gegenteil zu verkehren. Ein Material schluckt dann nicht mehr länger Licht, sondern verstärkt es wie ein Laser. Denn ob Materie Licht absorbiert oder emittiert ist wiederum eine Frage der Phasenverschiebung, und zwar zwischen der eingestrahlten und der abgegebenen Strahlung: Atome, die mit Licht angeregt wurden, geben ihren Energieüberschuss stets nach mehr oder weniger kurzer Zeit wieder ab, meist als Strahlung nach winzigen Bruchteilen einer Sekunde. Die Verzögerung zwischen Anregung und Abstrahlung bewirkt jedoch üblicherweise, dass sich das abgegebene Licht mit dem eingestrahlten destruktiv überlagert. Das heißt die Wellenberge der einen elektromagnetischen Schwingung überlagern sich mit den Tälern der anderen, und die Lichtwellen löschen sich gegenseitig aus.
„Ein zusätzlicher Laserstoß kann die abgebene Lichtwelle so verschieben, dass es exakt auf Absorptionslinie zu einer konstruktiven Überlagerung der elektromagnetischen Wellen kommt", sagt Thomas Pfeifer. Dann fallen die Berge der beiden Schwingungen zusammen, und die Atome oder Moleküle geben kurz nach der Anregung auf der ursprünglichen Absorptionslinie sogar mehr Licht ab als in diesem Moment eingestrahlt wird. Licht ließe sich dann mit deutlich mehr Systemen verstärken, als für Laser zur Verfügung stehen. Denn für Laser eignen sich nur Materialien, deren Elektronen relativ lange in einem angeregten Zustand bleiben können – und das tun sie eher selten.
„Unsere Arbeit erweitert also nicht nur die experimentellen Möglichkeiten, die Eigenschaften der Materie und ihre Wechselwirkung mit Licht zu untersuchen, in einem Umfang, den wir jetzt noch gar nicht abschätzen können“, sagt Thomas Pfeifer. „Sie zeigt auch, wie viel wir lernen, wenn wir einen quantenmechanischen Prozess klassisch betrachten und in seine zeitlichen Elementarprozesse zerlegen.“ Diese Perspektivwechsel, da ist sich der Physiker sicher, lohnt sich auch bei anderen bisher rein quantenmechanisch erklärten Effekten: „Dabei werden wir von vielen Prozessen vielleicht ein völlig neues Bild erhalten.“
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