Ein Grenzflächensupraleiter, der sich wie ein Hochtemperatursupraleiter verhält
Universität Augsburg
Die elektrische Leitfähigkeit in Metallen wird durch einzelne Elektronen getragen. Wenn diese gegeneinander stoßen, führt ihre Reibung, die dem elektrischen Widerstand entspricht, dazu, dass ein stromdurchflossener Draht sich erwärmt. Dieser Energieverlust stellt ein enormes Problem beim Stromtransport dar. Die Versorgung entfernter Netze mit Strom aus Offshore-Windparks ist ein aktuelles Beispiel hierfür.
Vor gut hundert Jahren hat man entdeckt, dass in vielen Metallen bei sehr tiefen Temperaturen von -250°C bis -273°C die den Widerstand bzw. Energieverlust verursachende Reibung vollständig verschwindet, sie werden „supraleitend“. Grund hierfür ist der Umstand, dass die Elektronen sich unterhalb einer materialspezifischen Sprungtemperatur nicht mehr einzeln, sondern kohärent als Kollektiv bewegen. Dieses kollektive Verhalten lässt sich messtechnisch auch in der Energieverteilung der Elektronen nachweisen. Die kohärenten Elektronen hinterlassen in dieser Verteilung eine charakteristische Lücke.
Oberhalb der Sprungtemperatur
Solch eine Energielücke haben die Augsburger Physiker und ihre Kollegen mittels Tunnelspektroskopie und eines eigens entwickelten Bauelements (siehe Abbildungen) nun an einer Oxid-Grenzfläche zwischen Strontiumtitanat und Lanthanaluminat nachgewiesen. Überraschend dabei war, dass diese Energielücke - im Widerspruch zur gängigen Theorie der Supraleitung - nicht nur unterhalb, sondern auch noch einige zehntel Grad über der Sprungtemperatur von 0,2 Kelvin (-272,9°C) messbar war.
Eigenartiges Verhalten der Energielücke
Ein ganz ähnliches Verhalten kennt man jedoch von den sogenannten Hochtemperatursupraleitern, deren Sprungtemperaturen von bis zu ‐140° C man bereits mit flüssigem Stickstoff erreichen kann. Hochtemperatursupraleiter wurden vor gut 25 Jahren entdeckt, sie werden seither intensiv erforscht und finden auch schon zahlreiche technische Anwendungen. Wissenschaftlich sind sie allerdings noch immer nicht vollständig verstanden. Vor allem das eigenartige Verhalten der Energielücke, das sogenannte „Pseudogap“, gibt nach wie vor Rätsel auf.
In Richtung Zimmertemperatur ...
"Dass wir dieses eigenartige Verhalten von Hochtemperatursupraleitern nun auch in einem völlig anderen System entdecken konnten", meint Dr. Christoph Richter vom Augsburger EKM, "kann u. U. entscheidend dazu beitragen, die Lücken im Verständnis der Hochtemperatursupraleitung zu schließen und die zugrundeliegende Physik zu verstehen, um darauf aufbauend neue, bessere Materialien entwickeln zu können. Trotz seiner vergleichsweise winzigen Sprungtemperatur könnte der von uns untersuchte ungewöhnliche Grenzflächensupraleiter also dazu beitragen, die Sprungtemperatur zukünftiger Materialien weiter in Richtung Zimmertemperatur zu treiben."
Originalveröffentlichung
C. Richter, H. Boschker, et al., Interface superconductor with gap behaviour like a high-temperature superconductor, Nature, 2013