Neues vom Higgs-Teilchen

CMS-Experiment bestätigt vorhergesagten Zerfall der Higgs-Bosonen in Leptonen

11.06.2014 - Deutschland

Das kürzlich entdeckte Higgs-Teilchen zerfällt manchmal in schwere Geschwister des Elektrons, sogenannte Tau-Leptonen. Das hat ein internationales Forscherteam mit dem Teilchendetektor CMS erstmals experimentell nachgewiesen. Die Beobachtung am weltgrößten Teilchenbeschleuniger LHC des europäischen Forschungszentrums CERN bei Genf bestätigt frühere Vorhersagen zu den Eigenschaften des Higgs-Teilchens. Die Gruppe, zu der auch DESY-Wissenschaftler gehören, präsentiert ihre Ergebnisse im Fachblatt "Journal of High Energy Physics".

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Im Jahr 2012 hatten die Forscher der LHC-Detektoren ATLAS und CMS die Entdeckung eines neuen Elementarteilchens bekanntgegeben, des langgesuchten Higgs-Bosons. Es kann erklären, wie Elementarteilchen zu ihrer Masse kommen. Das Higgs-Teilchen war der letzte fehlende Baustein des sogenannten Standardmodells, der bislang besten theoretischen Beschreibung der Eigenschaften aller bekannten Elementarteilchen und ihrer Wechselwirkungen.

„Diese Entdeckung war ein großer Meilenstein für die Physik“, erklärt Rainer Mankel, Wissenschaftler der CMS-Gruppe bei DESY und Mitautor der neuen Studie. „Wir führen aber unsere eingehenden Untersuchungen der Eigenschaften des Higgs-Teilchens fort um herauszufinden, ob diese mit unseren theoretischen Erwartungen übereinstimmen.“

Für diese Untersuchungen messen die Physiker beispielsweise, wie häufig das Higgs-Teilchen in andere Elementarteilchen zerfällt, und vergleichen diese Messungen mit den Vorhersagen des Standardmodells. Die ersten derartigen Analysen bei ATLAS und CMS beschäftigten sich mit dem Zerfall in sogenannte Eichbosonen wie das Z-Teilchen  – das sind die Teilchen, die die Grundkräfte vermitteln. „Diese Zerfälle sind durch eine klare Signatur erkennbar“, sagt Mankel. „Sie heben sich vom Hintergrund ab und sind recht leicht zu identifizieren.“

Die Beobachtung anderer vorhergesagter Zerfälle, beispielsweise in Leptonen, stellt eine größere Herausforderung dar, weil sie von einem übermächtigen Hintergrundsignal überdeckt werden. Ihre Messung ist dennoch unverzichtbar, um die Eigenschaften des neu entdeckten Higgs-Teilchens vollständig zu bestimmen. „Wenn wir diese Zerfälle nicht beobachten könnten, wäre das ein Hinweis darauf, dass etwas nicht mit unseren theoretischen Werkzeugen stimmt“, erklärt Mitautor Alexei Raspereza aus der DESY-CMS-Gruppe.

Zerfall des Higgs-Bosons in Tau-Leptonen

In ihrer aktuellen Studie haben die CMS-Forscher jetzt zum ersten Mal bestätigen können, dass das Higgs-Boson tatsächlich auch in Leptonen zerfällt. Das Team analysierte die Daten der Higgs-Teilchen, die der LHC in den Jahren 2011 und 2012 erzeugt hatte. Dabei entdeckten sie, dass ein Bruchteil der kurzlebigen Higgs-Teilchen in Tau-Leptonenpaare zerfällt. Diese Beobachtung wurde vom ATLAS-Detektor unabhängig bestätigt. Tau-Leptonen sind Teilchen, die ähnliche Eigenschaften haben wie Elektronen, aber 3500 Mal schwerer sind.

„Unser Ergebnis ist eine entscheidende Bestätigung des Standardmodells“, betont Raspereza. „Es ist ein experimenteller Nachweis dafür, dass das Higgs-Teilchen nicht nur, wie zuvor beobachtet, in Bosonen  sondern auch in Fermionen zerfällt.“ Physiker unterteilen Teilchen abhängig von ihrem sogenannten Spin, einer Art Eigendrehung, in Fermionen, zu denen die Leptonen gehören, und in Bosonen.

Für ihre Studie musste das CMS-Team eine ganze Reihe von Herausforderungen bewältigen. Zunächst entwickelten sie ausgefeilte Methoden, um das Signal von den Hintergrundprozessen einwandfrei unterscheiden zu können.

Hinzu kommt, dass Tau-Leptonen zu kurzlebig sind, um auf direktem Wege entdeckt zu werden. Sie zerfallen in unterschiedlichster Art. Um es noch komplizierter zu machen: Das Higgs-Teilchen kann in verschiedenen Prozessen entstehen. Daher müssen die Forscher bei ihrer aufwendigen Analyse eine ganze Reihe von unterschiedlichen Produktions- und Zerfallspfaden berücksichtigen.

Letztendlich ist auch die große Menge von LHC-Kollisionsereignissen selbst eine Herausforderung. In den Jahren 2011 und 2012 zeichnete der CMS-Detektor insgesamt fast zehn Milliarden Ereignisse auf, davon ist aber nur ein winziger Bruchteil durch den Zerfall von Higgs-Bosonen in Tau-Leptonen bedingt. Aus diesem Grund mussten die Wissenschaftler Kriterien entwickeln, um die für die Analyse verwendeten wenigen hundert Ereignisse effizient auswählen zu können.

Auf der Suche nach einer neuen Physik

Die CMS-Studie zum Zerfall des Higgs-Teilchens in Fermionen bestätigt nicht nur die Vorhersagen des Standardmodells. Darüber hinaus könnte sie auch auf neue Phänomene hinweisen. „Die Natur übersteigt unsere Vorstellungskraft, und es gibt Theorien jenseits des Standardmodells“, betont Raspereza. Die Theorie der Supersymmetrie geht beispielsweise davon aus, dass jedes Elementarteilchen des Standardmodells einen sogenannten Superpartner hat. Einige dieser hypothetischen Teilchen könnten möglicherweise erklären, weshalb nur etwa fünf Prozent des Universums aus den uns bekannten Teilchen besteht, während der Rest von einer rätselhaften Dunklen Materie und der mysteriösen Dunklen Energie gestellt wird, deren Eigenschaften wir nicht kennen.

Die Supersymmetrie sagt voraus, dass das bisher entdeckte Higgs-Teilchen nur eines von mehreren Higgs-Bosonen ist. Weitere Arten von Higgs-Bosonen würden sich über ihren Zerfall offenbaren, zum Beispiel in Ereignissen, an denen  drei Bottom-Quarks beteiligt sind. Quarks und Leptonen gehören zu den Fermionen. „Bei CMS haben wir Kriterien entwickelt, um diese vorhergesagten Ereignissignaturen während der Datennahme gezielt auszuwählen“, sagt Mankel. „Das versetzt uns in die einmalige Lage, nach weiteren Higgs-Bosonen zu fahnden und damit nach neuer Physik jenseits des Standardmodells zu suchen.“

Bisher hat das CMS-Team noch keine supersymmetrischen Teilchen gefunden; allerdings befindet sich die Suche auch erst im Anfangsstadium. „Die Supersymmetrie ist eine Theorie mit vielen unbekannten Parametern“, erklärt Raspereza. „Die bisherigen Ergebnisse stellen Einschränkungen  dieser Parameter dar. Sie grenzen somit unsere Suche ein und helfen bei der  Entwicklung zukünftiger Modelle.“

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