Nachweis einer direkten Vier-Teilchen-Wechselwirkung

Spezialinstrument untersucht Wechselwirkung von Röntgenstrahlung mit elektrisch geladener Materie

21.01.2015 - Deutschland

Physiker haben an DESYs Forschungslichtquelle PETRA III einen seltenen Vier-Teilchen-Prozess beobachtet. Dabei katapultiert ein Elektron drei andere Elektronen aus der Hülle eines Kohlenstoffatoms hinaus. Die Beobachtung kann unter anderem dabei helfen, bestimmte Experimente mit dem intensiven Licht von Röntgenlasern wie dem European XFEL besser zu verstehen, der zurzeit vom DESY-Gelände in Hamburg-Bahrenfeld bis ins benachbarte Schenefeld gebaut wird. Das Forscherteam um Prof. Alfred Müller und Prof. Stefan Schippers von der Universität Gießen stellt seine Untersuchungen im Fachblatt „Physical Review Letters“ vor, das die Veröffentlichung als „Highlight“ wertet.

Illustration: Michael Martins/Universität Hamburg

Dreifacher Auger-Zerfall: Ein Elektron springt angeregt durch Röntgenstrahlung auf eine höhere Schale, die hinterlassene Lücke wird nach kurzer Zeit von einem hinabfallenden Elektron neu besetzt. Die freiwerdende Energie überträgt sich auf drei weitere Elektronen, die aus der Atomhülle hinausgeschleudert werden.

„In der Physik stellt die Wechselwirkung zwischen mehr als zwei Teilchen ein grundlegendes Problem dar, da für Systeme mit drei und mehr Teilchen keine geschlossenen, analytischen Lösungen mehr existieren“, erläutert Ko-Autor Dr. Jens Viefhaus, Leiter der DESY-Strahlführung P04, an der die Versuche stattfanden. „Gerade aber die Vielteilchenwechselwirkungen sind die Ursache für interessante und wichtige Effekte, etwa in korrelierten Materialien, wie sie im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 925 an der Universität Hamburg studiert werden,“ ergänzt Ko-Autor PD Dr. Michael Martins von der Universität Hamburg. Für das Verständnis dieser Vielteilchenwechselwirkungen sind deshalb Experimente an einfachen Systemen wie den Kohlenstoffatomen von großer Bedeutung.

Für ihr Experiment schickten die Forscher einen Strahl elektrisch einfach geladener Kohlenstoffatome (C+-Ionen) in den Röntgenstrahl von PETRA III. In der Atomhülle von einfach geladenem Kohlenstoff befinden sich fünf Elektronen, zwei auf einer niedrigen und drei auf einer höheren Schale. Durch die Energie des intensiven Röntgenlichts kletterte in dem Versuch jeweils ein Elektron pro Atom von der niedrigen auf die höhere Schale. Nach sehr kurzer Zeit fällt dieses oder ein anderes Elektron der höheren Schale jedoch spontan wieder hinab auf die niedrige Schale. Dabei wird Energie frei. Diese kann entweder abgestrahlt werden, oder sie wird direkt an ein weiteres Elektron der höheren Schale übertragen, das durch diesen Energiestoß aus der Atomhülle hinausgeschleudert wird. Diesen direkten Energieübertrag nennen Physiker Auger-Zerfall.

In seltenen Fällen wird die Energie des hinabfallenden Elektrons beim Auger-Zerfall auf zwei und manchmal sogar auf drei andere Elektronen des Kohlenstoffs übertragen. In dem Experiment an PETRA III konnten die Forscher erstmals die Häufigkeit dieses dreifachen Auger-Zerfalls im Kohlenstoff bestimmen: Nur in 0,01 Prozent aller Fälle katapultiert das hinabfallende Elektron auf diese Weise alle drei übrigen Elektronen von der höheren Schale aus der Atomhülle hinaus. Übrig bleibt auf diese Weise ein vierfach geladenes Kohlenstoffatom (C4+-Ion). Die Ergebnisse dieser Studie sind für zahlreiche Multi-Elektronenprozesse in der Physik von Bedeutung und könnten helfen, die bei Versuchen mit Röntgenlasern beobachtete Mehrfachanregung besser zu verstehen.

Die grundlegende Untersuchung wurde möglich durch ein Projekt der Verbundförderung, mit der das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Nutzung wissenschaftlicher Großgeräte wie der Synchrotronstrahlungsquelle PETRA III durch Universitätsgruppen unterstützt. In diesem Rahmen hatten die Wissenschaftler ein Spezialinstrument namens PIPE an der Strahlführung P04 aufgebaut. Dieses „Photon-Ion Spectrometer at PETRA III“ ist maßgeschneidert für die Erforschung der Wechselwirkung von Röntgenstrahlung mit ionisierter (elektrisch geladener) Materie und steht künftig auch anderen Gruppen zur Verfügung. An der Studie waren außer den Universitäten Gießen und Hamburg sowie DESY auch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt, das Lawrence Berkeley National Laboratory in den USA und die Ungarische Akademie der Wissenschaften beteiligt.

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