Atome können gleichzeitig an verschiedenen Orten sein
© Andrea Alberti
Vor mehr als 100 Jahren begründeten die Physiker Werner Heisenberg, Max Born und Erwin Schrödinger ein neues Gebiet der Physik: die Quantenmechanik. Jedes Objekt der Quantenwelt bewegt sich – so die Theorie – nicht auf einer fest definierten Bahn. Stattdessen folgt es allen möglichen Bahnen; es befindet sich also zugleich an verschiedenen Orten. Physiker sprechen von einer Überlagerung unterschiedlicher Pfade.
Auf atomarer Ebene scheinen sich die Dinge tatsächlich nach den Gesetzten der Quantenmechanik zu verhalten. Das zeigen inzwischen zahlreiche physikalische Experimente. Im Alltag machen wir dagegen ganz andere Erfahrungen: Der Fußball bewegt sich auf einer exakten Flugbahn; er landet nie gleichzeitig im Tor und im Aus. Warum ist das so?
„Es gibt dafür zwei unterschiedliche Erklärungsansätze“, erläutert Dr. Andrea Alberti vom Institut für Angewandte Physik der Universität Bonn. „Nach der Standardquantenmechanik sind Überlagerungszustände von beliebig großen Gegenständen prinzipiell möglich. Jedoch sind diese Zustände sehr fragil: Jeder Versuch, den Ort eines Quantenobjekts zu bestimmen, zerstört die Überlagerung.“ Anders gesagt: Allein dadurch, dass wir den Ball mit den Augen verfolgen, sorgen wir dafür, dass er sich für eine Flugbahn „entscheidet“.
Gelten für „große“ Dinge andere Regeln?
Es könnte aber auch sein, dass Fußbälle generell anderen physikalischen Regeln gehorchen als etwa einzelne Atome. „Wir sprechen auch von einer makrorealistischen Weltanschauung“, erklärt Alberti. „Wenn diese These zutrifft, bewegt sich ein Ball – anders als etwa ein Atom – stets auf einer definierten Bahn, unabhängig davon, ob wir ihn beobachten oder nicht.“
Doch welche der beiden Antworten ist die richtige? Gelten für „große“ Dinge tatsächlich andere Gesetze als für kleine? Das Bonner Team hat in Kollaboration mit Dr. Clive Emary von der Universität Hull in England einen Ansatz vorgestellt, mit der sich diese Frage möglicherweise entscheiden lässt. „Wir haben dazu eine Methode entwickelt, mit der man die makrorealistische Theorie widerlegen kann“, erklärt Alberti.
In der Zeitschrift „Physical Review X“ beschreiben die Forscher das Prinzip: Sie ergriffen ein einzelnes Caesium-Atom mit zwei „Pinzetten“ aus Licht und zogen es damit in entgegengesetzte Richtungen. In einer makrorealistischen Welt hätte sich das Atom danach an einem einzigen definierten Ort befunden. In der Quantenwelt hätte es dagegen einen Überlagerungszustand aus zwei verschiedenen örtlichen Positionen eingenommen.
„Wir haben eine indirekte Messmethode entwickelt, mit der wir die Position des Atoms so sanft wie möglich messen konnten“, sagt der Doktorand Carsten Robens. Selbst diese indirekte Messung (s. Abbildung) veränderte signifikant den Ausgang des Experiments. Diese Beobachtung stimmt sehr gut mit der Existenz von Überlagerungszuständen überein, die durch die Messung zerstört wurden. Die Forscher konnten damit ausschließen, dass Caesiumatome der makrorealistischen Theorie folgen. Stattdessen befinden sie sich wohl tatsächlich an verschiedenen Orten gleichzeitig.
„Das ist natürlich noch kein Beweis, dass das auch für größere Objekte gilt“, betont Alberti. „Wir versuchen nun aber, das Caesium-Atom über mehrere Millimeter auseinanderzuziehen. Sollten unter diesen Bedingungen immer noch Überlagerungszustände existieren, wäre das für die makrorealistische Theorie ein großer Rückschlag.“