Gequetschte Quanten-Katzen
Die Quantenphysik steckt voller faszinierender Phänomene. Da ist zum Beispiel die Katze aus dem berühmten Gedankenexperiment des Physikers Erwin Schrödinger. Sie kann zugleich tot und lebendig sein, da ihr Leben vom quantenmechanisch bestimmten Zustand eines radioaktiv zerfallenden Atoms abhängt, das seinerseits Giftgas in den Katzenkäfig entweichen lässt. Solange man den Zustand des Atoms nicht gemessen hat, weiss man auch nichts über den Gesundheitszustand der armen Katze – Atom und Mieze sind aufs engste miteinander «verschränkt».
Ähnlich verblüffend sind die etwas weniger bekannten, sogenannt gequetschten Quantenzustände: Normalerweise kann man, nach der Heisenbergschen Unschärferelation, bestimmte Paare von physikalischen Messgrössen – beispielsweise den Ort und die Geschwindigkeit eines Quantenteilchens – nicht beliebig genau bestimmen. Allerdings lässt die Natur hier einen Tauschhandel zu: Präpariert man das Teilchen entsprechend, so lässt sich eine der Grössen etwas exakter messen, wenn man dafür eine ungenauere Kenntnis der anderen Grösse in Kauf nimmt. Das Präparieren wird in diesem Fall «quetschen» genannt, weil die Unschärfe der einen Messgrösse verkleinert (gequetscht) wird.
Schrödingers Katze und die gequetschten Quantenzustände sind, jedes für sich genommen, bereits wichtige physikalische Phänomene, auf denen vielversprechende Zukunftstechnologien beruhen. ETH-Forschern ist es nun gelungen, die beiden in einem Experiment gewinnbringend zu vereinen.
Quetschen und Verschieben
In ihrem Labor fangen Jonathan Home, Professor für experimentelle Quantenoptik und Photonik, und seine Kollegen dazu ein einzelnes elektrisch geladenes Kalzium-Ion in einem winzigen Käfig aus elektrischen Feldern ein. Mit Hilfe von Laserstrahlen kühlen sie das Ion soweit ab, dass es sich im Käfig nur noch minimal bewegt. Dann folgt ein Griff in die Trickkiste: Die Forscher «quetschen» den Bewegungszustand des Ions, indem sie es mit Laserlicht beschiessen und dabei geschickt den spontanen Zerfall seiner Energiezustände ausnutzen. Am Ende ist die Wellenfunktion des Ions (die seine räumliche Aufenthaltswahrscheinlichkeit angibt) buchstäblich zusammengestaucht : Die Physiker wissen jetzt genauer, wo sich das Ion räumlich befindet, dafür hat die Unschärfe in seiner Geschwindigkeit entsprechend zugenommen. «Diese Zustandsquetschung ist ein wichtiges Werkzeug für uns», erklärt Home. «Zusammen mit einem zweiten Werkzeug – sogenannten zustandsabhängigen Kräften – können wir eine ‹gequetschte Schrödinger-Katze› herstellen.»
Dazu wird das Ion wiederum Laserstrahlen ausgesetzt, die es nach links oder rechts verschieben. Die Richtung der vom Laser erzeugten Kräfte hängt davon ab, in welchem inneren Energiezustand sich das Ion befindet. Diesen kann man als nach oben oder unten zeigenden Pfeil oder sogenannten Spin abbilden. Ist das Ion in einem Energie-Überlagerungszustand aus «Spin oben» und «Spin unten», so wirkt die Kraft sowohl nach rechts als auch nach links. Auf diese Weise ergibt sich eine besondere Situation, die Schrödingers Katze ähnelt: Das Ion befindet sich in einem Zwitter-Zustand, nämlich zugleich rechts (Katze lebt) und links (Katze ist tot). Erst wenn man den Spin misst, entscheidet sich, ob das Ion rechts oder links ist.
Stabile Katzen für Quantencomputer
Das Besondere an der Schrödinger-Katze von Home und seinen Mitarbeitern ist, dass sich durch die anfängliche Quetschung die Ionen-Zustände «rechts» und «links» besonders leicht unterscheiden lassen. Zugleich ist die Katze recht gross, da die Ionen- Zustände weit voneinander entfernt sind. «Selbst ohne die Quetschung ist unsere ‹Katze› die grösste, die bislang hergestellt wurde», unterstreicht Home. «Mit der Quetschung sind die Zustände «rechts» und «links» noch besser unterscheidbar – sie sind ganze sechzigmal schmaler als der Abstand zwischen ihnen.» Dabei geht es freilich nicht bloss um wissenschaftliche Rekorde, sondern auch um praktische Anwendungen. Gequetschte Schrödinger-Katzen sind nämlich extrem stabil gegenüber bestimmten Störungen, die normalerweise dazu führen, dass aus ihnen ganz normale «Katzen» ohne Quanteneigenschaften werden. Diese Stabilität liesse sich etwa zur Realisierung von Quantencomputern ausnutzen, die mit Quanten-Überlagerungen rechnen. Auch ultra-präzise Messungen könnten so unempfindlicher gegen unerwünschte äussere Einflüsse werden.