Wie lange braucht ein Elektron, um zu tunneln?

26.08.2015 - Deutschland

Die Kombination aus ab-initio numerischen Experimenten und Theorie zeigt, dass das optische Tunneln eines Elektrons aus einem Atom instantan stattfinden kann.

MBI

Mittels der ARM-Theorie aus den mit TDSE Rechnungen numerisch erhaltenen Offset-Winkeln (rechte Achse) rekonstruierte Ionisationszeiten (linke Achse). Rote Kreise kennzeichnen die numerisch berechneten Offset-Winkel geteilt durch die Laserfrequenz, θ/ω. Blaue Rauten zeigen die Offset-Winkel mit der durch Subtraktion des Effekts der Pulseinhüllenden erhaltene Korrektur, ti0=θ/ω-|Δtienv(θ,ppeak)| . Grüne, umgekehrte Dreiecke zeigen die Coulomb-Korrektur zur Ionisationszeit, ausgewertet am Maximum der Photoelektronenverteilung, |ΔtiC(θ,ppeak|. Orangefarbene Dreiecke zeigen die von uns durch Anwendung der in Gleichung(4) in der Veröffentlichung definierten Rekonstruktionsprozedur erhaltenen Ionisationszeiten. In Bezug auf die Abbildung sind sie das Ergebnis der Subtraktion der grünen Kurve von der blauen Kurve.

Wie viel Zeit benötigt ein Atom um ein Photon zu absorbieren und ein Elektron freizugeben? Und was wenn nicht ein, sondern viele Photonen benötigt werden für die Ionisation? Wieviel Zeit würde die Absorption von vielen Photonen beanspruchen? Diese Fragen liegen im Kern der Attosekundenspektroskopie, welche zum Ziel hat Elektronenbewegung auf ihrer natürlichen Zeitskala aufzulösen.

Ionisation in starken Infrarotfeldern wird häufig als das Tunneln von Elektronen durch eine Potentialbarriere betrachtet. Dabei wird die Barriere durch die Kombination des atomaren Potentials, welches das Elektron bindet, und des elektrischen Feldes des Laserpulses, welches das Elektron fortzieht, gebildet. Daher sieht sich die Attosekundenspektroskopie unerwartet mit einer nahezu uralten und kontroversen Frage konfrontiert: Wie lange braucht ein Elektron, um durch eine Barriere zu tunneln?

In der Veröffentlichung von Torlina et al. wird dieser Frage anhand des sogenannten Attouhr-Aufbaus nachgegangen. Die Attouhr nutzt das rotierende elektrische Feld eines zirkular polarisierten Laserpulses als einen Zeiger der Uhr. Eine volle Umdrehung dieses Zeigers dauert eine Laserperiode, ungefähr 2,6 fs für Experimente mit 800 nm Pulsen eines Titan:Saphir-Lasers. Mit dem rotierenden elektrischen Feld rotiert ebenfalls die Tunnelbarriere. Daher tunneln Elektronen, die zu unterschiedlichen Zeiten tunneln, in verschiedene Richtungen. Es ist diese Verknüpfung zwischen Zeit und Richtung der Elektronenbewegung, die es der Attouhr ermöglicht Zeiten zu messen.

In jeder Uhr muss der Zeitpunkt Null festgelegt werden. Bei der Attouhr geschieht dies durch die Anwendung eines sehr kurzen Laserpulses, der nur ein bis zwei Zyklen andauert. Der Tunnelvorgang findet in einem kleinen Zeitfenster statt, wenn das rotierende elektrische Feld sein Maximum durchläuft.

Weiterhin, wie jede andere Uhr, muss auch die Attouhr kalibriert werden. Man muss wissen wie die Zeit der Elektronenemission - des Austritts des Elektrons aus der Tunnelbarriere - auf den Winkel, unter dem das Elektron detektiert wird, abgebildet ist. Diese Kalibrierung der Attouhr wurde nun durch Torlina et al. erreicht, ohne Ad-hoc-Annahmen zur Natur des Ionisationsprozesses oder zum zugrundeliegenden physikalischen Bild zu treffen. Mit der Kombination aus analytischer Theorie und akkuraten numerischen Experimenten, und nachdem die Attouhr kalibriert wurde, konnten die Autoren schließlich einen genauen Blick auf die Verzögerungen beim Elektronentunneln werfen. Sie gelangen zu der überraschenden Antwort: Diese Zeitverzögerung kann gleich Null sein. Zumindest im Bereich der nichtrelativistischen Quantenmechanik verbringt das aus dem Grundzustand des Wasserstoffatoms tunnelnde Elektron keine Zeit in der Tunnelbarriere. Die Situation kann sich jedoch ändern, falls das Elektron auf seinem Weg auf andere Elektronen trifft, was in anderen Atomen oder in Molekülen wichtig werden kann. Die Wechselwirkung zwischen den Elektronen kann zu Verzögerungen führen.

Somit stellt die Attouhr ein einzigartiges Fenster dar, nicht nur zur Tunneldynamik, aber auch zum Wechselspiel der verschiedenen Elektronen, die am Ionisationsprozess teilnehmen, und wie die zurückbleibenden Elektronen sich dem Verlust ihrer Kameraden neu anpassen

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