Molekulare Saiten zum Schwingen gebracht und neu gestimmt
MPIK
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Jeder Klavierstimmer kennt das Problem: pro Ton gibt es bis zu drei Saiten, die auf genau die gleiche Tonhöhe gestimmt sein müssen, um einen reinen Klang zu erhalten. Verstimmungen machen sich durch für unser Gehör unangenehm klingende Überlagerungen leicht verschiedener Schwingungsfrequenzen bemerkbar. Ähnlich verhalten sich die negativ geladenen Elektronenwolken in Atomen und Molekülen, die gegenüber den positiven Atomkernen hin und her schwingen können. Die Anregung erfolgt durch Licht als elektromagnetische Welle besonders stark dann, wenn die Lichtfrequenz einer dem atomaren System eigenen Schwingungsfrequenz entspricht, also Resonanz vorliegt.
Im ersten Bild entspricht dies bei einem Atom einem bestimmten Ton auf dem Klavier mit nur einer Saite. Bei einem Molekül können aber die einzelnen Atome gegeneinander schwingen und das ganze Molekül rotieren. Statt einer hat man nun mehrere Saiten mit leicht verschiedener Eigenfrequenz. Diese lassen sich zwar nicht aufeinander abstimmen, da sie durch die Eigenschaften des Moleküls festgelegt sind, wohl aber kann die gegenseitige Überlagerung, also gleichsam die Klangfarbe des verstimmten Tons beeinflusst werden: Schwingungen und Wellen sind nämlich neben ihrer Frequenz und Amplitude durch ihren zeitlichen Verlauf bezüglich eines vorgegebenen Zeitpunkts bestimmt – die sogenannte Phase. Diese wird in der Regel nicht direkt beobachtet, aber bei der Überlagerung mehrerer Schwingungen (Interferenz) sind Phasendifferenzen von entscheidender Bedeutung.
In früheren Arbeiten hat die Gruppe um Thomas Pfeifer am Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) in Heidelberg erfolgreich die Manipulation des zeitlichen Verlaufs einer Elektronenschwingung in einem Atom demonstriert. In Abhängigkeit von der Frequenz des Lasers ergibt sich für die Wahrscheinlichkeit der Schwingungsanregung, also die Stärke der Lichtabsorption, ein charakteristischer Verlauf um die Resonanz. Dieser kann – je nach Phasenverschiebung der Elektronenschwingung – ein asymmetrisches, so genanntes Fano-Profil zeigen, das auch negative Ausschläge haben kann (Abb. 1 oben). Im Fall von Atomen können die einzelnen Resonanzen meist als voneinander unabhängig betrachtet werden. In Molekülen hingegen liegen sie dicht beieinander, so dass sie überlappen und prinzipiell nicht trennbar sind.
Die theoretische Beschreibung lässt sich aber verallgemeinern, nur dass jetzt die Gesamtheit aller überlappenden Resonanzen betrachtet werden muss. Beispielhaft ist in Abb. 1 das Verhalten von vier Resonanzen gezeigt: Deren individuelle Antworten auf die Laseranregung müssen unter Beachtung ihrer zeitlichen Verläufe und Einbeziehung der Phasenverschiebungen überlagert werden, um die Gesamtantwort zu berechnen. Diese kann durchaus eine komplizierte Form mit zusätzlichen Strukturen (Maxima/Minima) aufweisen. Zur Manipulation der Phasen verwenden die Wissenschaftler wie im atomaren Fall einen zweiten Kontroll-Laserpuls, der zeitlich versetzt zum anregenden Laserpuls eingestrahlt wird. Die Kontrolle erfolgt über die Intensität dieses Pulses und die zeitliche Verschiebung. Dabei kann zusätzlich ausgenutzt werden, dass nicht alle dicht beieinander liegenden Resonanzen gleich stark durch das Laserfeld als „Phasenschieber“ beeinflusst werden, was eine Adressierung bestimmter elektronischer Zustände erlauben könnte.
Zur experimentellen Untersuchung hat die Forschergruppe um Dr. Kristina Meyer mit Unterstützung der Gruppe von Prof. Marcus Motzkus (Universität Heidelberg) einen ähnlichen Aufbau wie in den vorigen Arbeiten verwendet. Sie teilen hierzu einen ultrakurz gepulsten Laserstrahl von 7 Femtosekunden Pulsdauer in zwei Teilstrahlen mit variablem Intensitätsverhältnis und variabler gegenseitiger Verzögerung auf, fokussieren diese auf die Probe und messen die Lichtabsorption. Als Probe diente das Farbstoffmolekül IR144, gelöst in Methanol. Erstmals haben sie hier bei einem in flüssiger Lösung befindlichen Molekül die Phase von angeregten Zuständen in einem starken Laserfeld als Funktion von dessen Intensität durchgestimmt. „Dies ist von entscheidender Bedeutung, da chemische Reaktionen, deren gezielte Beeinflussung man sich erhofft, in der Regel in Lösungen, d. h. in einem flüssigen Medium, ablaufen“, erläutert Kristina Meyer.
Die gemessenen Absorptionsspektren als Funktion der Intensität des Kontrollpulses zeigen deutlich den Einfluss des Kontrollpulses (Abb. 2a): Das Absorptionsmaximum verschiebt sich zu höheren Frequenzen und es tritt ein zusätzliches Minimum auf. Zum Vergleich hat Kristina Meyer mit Unterstützung der Theoriegruppe von Prof. Andreas Dreuw (Universität Heidelberg) eine theoretische Modellierung vorgenommen (Abb. 2b). Hierzu hat sie vereinfacht 22 Resonanzen in gleichem gegenseitigem Abstand und gleicher Breite betrachtet, von denen vier signifikant an das Laserfeld koppeln. Trotz dieser Vereinfachung werden die Messungen durch die Rechnung gut wiedergegeben.
Mit dem neuen Experiment am Beispiel eines Farbstoffmoleküls konnten die Heidelberger Forscher zeigen, dass zeitaufgelöste Phasenkontrolle auf komplexe Systeme verallgemeinert werden kann und nun auf eine Vielzahl von Systemen anwendbar ist: von einzelnen Atomen im gasförmigen Zustand bis hin zu größeren Molekülen in ihrer „natürlichen“ Umgebung wie z. B. wässrigen Lösungen. Dies eröffnet neue Wege in die "Laserchemie", der Steuerung chemischer Reaktionen mit starken Laserfeldern.