Eine Autobahn für Spinwellen
Dresdner Forscher entwickeln Verfahren zur Kontrolle neuartiger Informationsträger
HZDR/H. Schultheiß
„Unsere heutige Informationsverarbeitung basiert auf Elektronen“, erklärt Dr. Helmut Schultheiß vom HZDR-Institut für Ionenstrahlphysik und Materialforschung. „Diese geladenen Teilchen fließen durch die Drähte und erzeugen auf diese Weise elektrische Ströme. Allerdings stoßen sie dabei mit Atomen zusammen und verlieren so Energie, die als Wärme an das Kristallgitter abgegeben wird. Das heißt, dass Chips umso wärmer werden, je enger die Elemente auf ihnen beieinander sitzen. Irgendwann ist dann der Punkt erreicht, bei dem sie einfach versagen, da die Wärme nicht mehr abgeführt werden kann.“ Der Leiter einer Emmy Noether-Nachwuchsgruppe verfolgt deshalb einen anderen Ansatz: Informationstransport über Spinwellen oder sogenannte Magnonen.
Das magnetische Moment der Elektronen
Mit dem Begriff Spin bezeichnen die Wissenschaftler den Drehimpuls der Elektronen um die eigene Achse. Dadurch verhalten sich die elektrischen Teilchen wie extrem kleine Magnete. In ferromagnetischen Materialien richten sie sich parallel aus. „Lenkt man nun einen Spin in eine andere Richtung, beeinflusst das auch die Nachbarspins“, erläutert Schultheiß. „So entsteht eine Spinwelle, die sich durch den Festkörper fortpflanzt. Mit ihrer Hilfe lassen sich, genauso wie bei fließenden Ladungsträgern, Informationen transportieren und verarbeiten.“ Allerdings bewegen sich in diesem Fall die Elektronen selbst nicht. „Sie stoßen nirgends an und erzeugen somit kaum Wärme.“
Um sich im Wettrennen um die zukünftige Informationsverarbeitung durchzusetzen, werden aber Systeme benötigt, mit denen sich die Ausbreitung der Spinwellen auf der Nanoebene kontrollieren lässt. „Die bisherigen Ansätze beruhen entweder auf geometrisch vorgegebenen Leiterbahnen oder auf dem permanenten Einsatz externer Magnetfelder“, beschreibt Schultheiß den Stand der Forschung. „Bei der ersten Lösung lässt sich der Ausbreitungsweg nicht verändern, was für die Entwicklung von flexiblen Schaltkreisen jedoch nötig wäre. Mit der zweiten Methode ließe sich das Problem zwar lösen. Dafür steigt aber der Energieverbrauch enorm an.“
Kontrollierter Ausbreitungsweg
Den Wissenschaftlern gelang es nun, ein neues Verfahren zur gezielten Lenkung von Spinwellen zu entwickeln, indem sie grundlegende magnetische Eigenschaften ausnutzten: die Remanenz – also die Magnetisierung, die ein Festkörper nach dem Entfernen eines Magnetfelds beibehält – und die Entstehung sogenannter Domänenwände. „Mit dem Begriff bezeichnet man den Bereich in Festkörpern, an dem unterschiedlich ausgerichtete Magnetisierungen aufeinandertreffen“, erklärt Schultheiß. In einem Experiment stellten die Forscher eine solche Domänenwand in einer Nanostruktur aus einer Nickel-Eisen-Legierung her. Mit Mikrowellen lösten sie anschließend eine Spinwelle aus. Wie ihre Untersuchungen gezeigt haben, blieben die Spinwellen einer bestimmten Frequenz in der Domänenwand gefangen, da die unterschiedlich orientierten magnetischen Bereiche als Einsperrung dienen. „Im übertragenen Sinn könnte man sagen, dass wir eine Straße mit Leitplanke konstruiert haben, auf der sich die Spinwellen kontrolliert ausbreiten“, freut sich Schultheiß über das Ergebnis.
Die Dresdner Physiker konnten aber sogar noch einen weiteren Erfolg feiern. Über kleine externe Magnetfelder weit unterhalb eines Millitesla – etwa hundertmal schwächer als ein handelsüblicher Hufeisenmagnet – manipulierten sie den Verlauf der Domänenwand. Und damit gleichzeitig die Ausbreitung der Spinwellen. „Darauf könnte das Design rekonfigurierbarer Nano-Schaltkreise aufgebaut werden, die über Magnonen funktionieren“, schätzt Schultheiß ein. Trotzdem wird es, nach Ansicht des Forschers, bis zur Anwendung aber wohl noch einige Jahre dauern. „Wir sind immer noch im Stadium der Grundlagenforschung. Unsere Ergebnisse zeigen allerdings, dass wir uns auf einem guten Weg befinden.“