Billigöl: Fluch oder Segen für die Weltwirtschaft?
Öl gilt als Schmierstoff der Wirtschaft. Niedrige Preise kurbeln die Konjunktur an. Doch die Zweifel an dieser Faustregel nehmen zu.
(dpa) Für den Fracking-Riesen Chesapeake begann die Woche mit einem Schock. Pleitegerüchte um den Erdgas-Produzenten ließen den Aktienkurs zeitweise um über 40 Prozent abstürzen. Erst nachdem der US-Konzern in einer Mitteilung versicherte, keine Insolvenzpläne zu haben, ließ die Panik nach. Die heftigen Reaktionen zeigen aber, wie kritisch die Lage im Energiegeschäft derzeit ist.
Der Ausnahmezustand am Ölmarkt betrifft jedoch nicht nur Unternehmen, sondern die ganze Weltwirtschaft. «Das große Problem bleibt weiterhin das Überangebot», sagt Rohstoffanalyst Ole Hansen von der Saxo Bank. Weil die großen Fördernationen im Kampf um Marktanteile um die Wette pumpen, wird die Welt mit billigem Öl überflutet. Die Nachfrage reicht nicht aus, darum fallen die Preise in den Keller.
Eigentlich sagen Ökonomen, dass die Konjunktur davon profitiert. «Vor nicht allzu langer Zeit hätte ein derartiger Preiseinbruch größtenteils Jubel ausgelöst», meint Experte Stefan Kreuzkamp von der Vermögensverwaltung der Deutschen Bank. Eine Faustregel unter Volkswirten lautet: Ein zehnprozentiger Rückgang der Rohölpreise erhöht das Wachstum um 0,1 bis 0,5 Prozentpunkte.
Je günstiger das Öl, desto geringer die Produktionskosten für die meisten Unternehmen. Verbraucher haben mehr Geld übrig, weil sie weniger für Benzin und Heizen ausgeben. Ein Ölpreisrutsch wirke deshalb wie eine Steuersenkung und schiebe die Wirtschaft an, so die gängige Annahme. Aber die Zweifel daran nehmen zu.
In den letzten 18 Monaten ist der Ölpreis um über 70 Prozent gefallen - doch wie ein Konjunkturprogramm hat das nicht gewirkt. Stattdessen warnt mittlerweile der Internationale Währungsfonds vor den Risiken des niedrigen Ölpreises. Der IWF senkte nicht zuletzt deshalb im Januar seine globale Wachstumsprognose für 2016. «Wir haben wohl einen holprigen Weg vor uns», sagte IWF-Chefökonom Maurice Obstfeld.
An den Finanzmärkten wird das Billigöl inzwischen als Gefahr gehandelt. Das hat verschiedene Gründe. Die Energiebranche gerät durch die niedrigen Preise immer stärker unter Druck. Weltweit haben Ölfirmen 2015 laut dem Finanzdienst Bloomberg über 250 000 Stellen gestrichen. Vielfach sind das hochbezahlte Jobs. Deren Verlust trifft die Volkswirtschaften - ebenso wie die starken Investitionskürzungen.
Auch die Insolvenzen nehmen zu, wenngleich die große Pleitewelle bislang ausblieb, weil sich die US-Fracker noch erstaunlich robust zeigen. Aber viele Firmen halten sich mit immer teureren Krediten über Wasser, so dass das dicke Ende noch kommen könnte. Die Ratingagentur Standard & Poor's stufte jüngst die Bonitätsnoten einer ganzen Reihe großer Energiekonzerne ab.
Zudem leiden Fördernationen unter dem Ölpreisverfall. Russland oder Venezuela, aber auch andere Länder, deren Volkswirtschaften stark von der Ölproduktion abhängig sind, stehen mit dem Rücken zur Wand. Die kritische Lage veranlasste IWF-Chefin Christine Lagarde jüngst bereits zu einem Hilfsangebot: «Der IWF steht offen für alle Mitglieder», sagte sie kürzlich in Washington.
Der Absturz einzelner Förderländer könnte die Weltwirtschaft insgesamt runterziehen. Der Gefahr ist sich auch die US-Notenbank bewusst. Ihre Chefin Janet Yellen warnte am Mittwoch: «Sollten sich einige dieser Risiken bewahrheiten, könnte sich die Wirtschaftstätigkeit im Ausland abschwächen genauso wie die Nachfrage nach Exporten aus den USA und die Situation an den Finanzmärkten würde sich weiter verschärfen».
Ist das Billigöl tatsächlich also eher ein Fluch als ein Segen? «Die kurze Antwort hierauf lautet nein», sagt Experte Kreuzkamp. Die Vorteile in Form von Entlastungen für Verbraucher würden letztlich die Nachteile überwiegen. «Wir alle konsumieren Öl in der einen oder anderen Form, aber vergleichsweise wenige Menschen, Unternehmen und Länder produzieren es.»
Letztlich hängt es stark von den einzelnen Ländern und ihren Volkswirtschaften ab, wie sich der Ölpreis bemerkbar macht. So ist der Energiesektor in den USA, wo das Wachstum zuletzt deutlich zurückging, von großer Bedeutung. In Deutschland, das seinen Energiebedarf überwiegend durch Importe stillt, trieben die Verbraucherausgaben die Wirtschaft kräftig an.