Dreikampf in der Quantenwelt

13.04.2016 - Schweiz

Bei Phasenübergängen, etwa zwischen Wasser und Wasserdampf, konkurriert die Bewegungsenergie mit der Anziehungsenergie unmittelbar benachbarter Moleküle. Physiker der ETH Zürich haben jetzt Quanten-Phasenübergänge studiert, bei denen auch weit entfernte Teilchen einander beeinflussen.

ETH Zürich / Tobias Donner

Eine künstliche Quantenwelt aus Atomen und Licht: Durch das komplexe Wechselspiel zwischen kurz- und langreichweitiger Wechselwirkung ordnen sich die Atome (rot) spontan auf einem Schachbrettmuster an.

Wenn man Wasser in einem Topf langsam bis zum Kochen erhitzt, so spielt sich in der Flüssigkeit ein spannender Zweikampf der Energien ab. Zum einen ist da die Wechselwirkungsenergie, welche die Wassermoleküle aufgrund deren gegenseitiger Anziehung zusammenhalten will; zum anderen aber versucht die durch das Erhitzen immer grösser werdende Bewegungsenergie, die Moleküle voneinander zu trennen. Unterhalb des Siedepunktes behält die Wechselwirkungsenergie die Oberhand, doch sobald die Bewegungsenergie gewinnt, kocht das Wasser und wird dadurch zu Wasserdampf. Dieser Vorgang wird auch als Phasenübergang bezeichnet. Die Wechselwirkung betrifft dabei nur Wassermoleküle, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander befinden.

Forscher um Tilman Esslinger, Professor am Institut für Quantenelektronik der ETH Zürich, und Tobias Donner, Wissenschaftler in seiner Gruppe, haben nun gezeigt, wie man Teilchen dazu bringen kann, einander auch über grössere Entfernungen zu «spüren». Durch Hinzufügen solcher langreichweitiger  Wechselwirkungen konnten die Physiker neuartige Phasenübergange beobachten, die sich aus Energie-Dreikämpfen ergeben.

Künstliche Quantenwelten

Die Experimente der Zürcher Physiker finden freilich nicht in einem Kochtopf statt, sondern in einem «Quantensimulator», einer künstlich erschaffenen Quantenwelt. Die Forscher kühlen dazu eine winzige Wolke aus Rubidium-Atomen auf Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt ab und fangen sie dann in einem kristallähnlichen Gitter aus Laserstrahlen ein. Die Wechselwirkungsenergie beruht auf Zusammenstössen zwischen Atomen, die zwischen den Gitterplätzen hin und her wandern. Die Bewegungsenergie der Atome wiederum kann durch die Stärke der Laserstrahlen gesteuert werden, die bestimmt, wie beweglich die Atome im Inneren des Gitters sind.

Um schliesslich eine Wechselwirkung  zwischen weit entfernten Atomen herbeizuführen, benutzen Renate Landig, Doktorandin in Esslingers Arbeitsgruppe, und ihre Kollegen einen technischen Trick. Mit Hilfe zweier hochreflektierender Spiegel bauten sie einen Resonator, der dafür sorgt, dass Lichtteilchen, die von einem der Atome abgelenkt werden, mehrmals durch die Rubidium-Wolke fliegen. Dadurch kommen früher oder später alle Atome der Wolke mit dem abgelenkten Photon in Kontakt. Sie «spüren» dadurch die Anwesenheit des Ursprungs-Atoms, welches das Photon als erstes abgelenkt hatte. Dieses Spüren auf Distanz kommt einer effektiven Wechselwirkung mit langer Reichweite gleich.  Wie stark die Atome auf diese Weise miteinander wechselwirken, lässt sich zudem mittels der Frequenz der Laserstrahlen genau kontrollieren.

«Mit Hilfe dieses Kniffes haben wir nun drei Energieskalen in unserem System, die miteinander konkurrieren: neben der Bewegungsenergie und der Wechselwirkungsenergie zusätzlich auch die Energie der langreichweitigen Wechselwirkung», erklärt Landig. «Indem wir die Bewegungsenergie und die langreichweitige Wechselwirkungsenergie verändern, können wir verschiedene neuartige Quanten-Phasenübergänge studieren.»

Phasenübergänge erster Ordnung

Einige der möglichen Phasenübergänge waren den Forschern bereits bekannt. Wenn zum Beispiel die langreichweitige Wechselwirkung sehr klein ist und die Bewegungsenergie nach und nach erhöht wird, so wechselt der Aggregatzustand der Rubidium-Wolke von einem Mott-Isolator, in dem auf jedem Gitterplatz ein Atom unbeweglich sitzt, zu einer Supraflüssigkeit, in der sich die Atome vollkommen frei bewegen können.

Erhöhen die Forscher dagegen die Energie der langreichweitigen Wechselwirkung, so passiert etwas völlig anderes: Bei einer bestimmten Stärke dieser Wechselwirkung ordnen sich die Atome spontan in einem Schachbrettmuster an, mit jeweils einem leeren Gitterplatz zwischen zwei Atomen. «Das Besondere dabei ist, dass dieser Phasenübergang, ähnlich dem von Wasser zu Wasserdampf, ein Übergang erster Ordnung ist», betont Donner. Bei solchen Phasenübergängen ändert sich eine bestimmte Eigenschaft einer Substanz schlagartig, wogegen bei Übergängen zweiter Ordnung, wie sie bislang in künstlichen Quantensystemen nachgewiesen wurden, die Änderung graduell ist.

Suprasolidität nachgewiesen

Einen weiteren ungewöhnlichen Phasenübergang konnten die Physiker herbeiführen, indem sie sowohl die Bewegungsenergie als auch die langreichweitige Wechselwirkung sehr gross werden liessen. In diesem Fall bildete sich wieder ein Schachbrettmuster im Gitter, doch diesmal bestand zwischen den Atomen eine Phasenkohärenz, das heisst, ihre quantenmechanischen Wellenfunktionen waren synchronisiert. Eine solche Kohärenz wird normalerweise nur beobachtet, wenn sich die Atome relativ frei bewegen können, wie dies etwa im supraflüssigen Zustand der Fall ist. Das gleichzeitige Bestehen eines Schachbrettmusters und der Phasenkohärenz dagegen deutet darauf hin, dass es sich hierbei um eine suprasolide Phase handelt. Der Zwitterzustand der Suprasolidität wurde bereits vor fünfzig Jahren theoretisch vorhergesagt, es erwies sich aber bisher als schwierig, ihn zweifelsfrei nachzuweisen.

In Zukunft werden Esslinger und seine Mitarbeiter solche und andere exotische Effekte in ihrem Quantensimulator genauer untersuchen. Das Ziel der Forscher ist es, einen Überblick über Quantenphänomene in zunehmend komplexen Systemen zu gewinnen. Dieser Prozess geht Hand in Hand mit der Entwicklung und Erforschung von Materialen mit besonderen Eigenschaften.

Originalveröffentlichung

Landig R, Hruby L, Dogra N, Landini M, Mottl R, Donner T, Esslinger T: Quantum phases from competing short- and long-range interactions in an optical lattice, Nature, 11. April 2016, doi: 10.1038/nature17409

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