Tropfen gestalten: Kontrolle über Haftreibung und Benetzbarkeit
Gábor Mészáros & Ruth Lanza
TU Wien
Wenn Regen auf ein Lotosblatt fällt, dann wird das Blatt nicht nass. Seiner speziellen Oberflächenstruktur ist es zu verdanken, dass Wasser abperlt, ohne die Oberfläche zu benetzen. Auch künstlich hergestellte Materialien kann man mit einer solchen wasserabweisenden Struktur versehen. Schwierig ist es allerdings, eine Oberfläche zu produzieren, deren Benetzbarkeit sich gezielt und schnell ändern lässt. Einem Forschungsteam der TU Wien, der KU Leuven und der Universität Zürich ist es nun gelungen, eine Oberfläche aus einer einzelnen Atomlage Bornitrid so zu manipulieren, dass man ihre Adhäsionskraft steuern und sie zwischen einem Zustand hoher und niedriger Benetzbarkeit hin und herschalten kann.
Sechsecke, die Wellen schlagen
„Eine der interessantesten physikalischen Größen bei der Untersuchung von Oberflächen ist die Haftreibung“, sagt Stijn Mertens (Institut für Angewandte Physik der TU Wien und assoziiert mit der KU Leuven in Belgien). „Diese Kraft muss man überwinden, um ein Objekt über eine Oberfläche gleiten zu lassen.“ Durch die Nanostruktur der Oberfläche kann die Haftreibung maßgeblich beeinflusst werden: Die Geometrie und die elektrostatischen Eigenschaften der Oberfläche legen fest wie sie ein anderes Objekt oder auch einen Flüssigkeitstropfen berührt. Das entscheidet über Adhäsion, Reibung und Benetzbarkeit. Wie Haftreibung und Benetzbarkeit aber genau zusammenhängen, ist noch immer nicht vollständig bekannt.
„So wie das Material Graphen nur aus einer Lage von Kohlenstoffatomen besteht, hat auch unser Bornitrid—mit gleich vielen Bor- und Stickstoffatomen—eine Dicke von nur einem einzigen Atomdurchmesser“, erklärt Thomas Greber vom Physik-Institut der Universität Zürich. Diese ultradünne Schicht kann man auf einen Rhodium-Einkristall wachsen lassen. Sowohl auf der Rhodiumoberfläche als auch im Bornitrid sind die Atome in einer sechseckigen Wabenform angeordnet, allerdings sind die Abstände zwischen den Atomen in den beiden Materialien nicht gleich. Auf dreizehn Atome im Bornitrid kommen zwölf Rhodium-Atome, daher passen die Bornitrid- und die Rhodium-Kristallgitter nicht perfekt aufeinander. Die Bornitrid Sechsecke müssen sich daher verbiegen, sie bilden eine Überstruktur, die einer eingefrorenen Welle gleicht, mit einer Wellenlänge von 3.2 Nanometern und einer Wellenhöhe von etwa 0.1 Nanometern.
„Genau diese zweidimensionale Nanowelle beeinflusst die Benetzbarkeit der Oberfläche durch Wasser“, sagt Stijn Mertens. Die Bornitrid-Überstruktur lässt sich allerdings mit einem einfachen Trick flach machen: Wenn man das Material in Säure eintaucht und eine elektrische Spannung anlegt, unterwandert Wasserstoff das Bornitrid und verändert die Bindung an das Rhodium. Dadurch wird das Bornitrid flach. Ein Wassertropfen, der hunderttausend mal größer ist als die Wellen der verschwundenen Nanostruktur, haftet plötzlich ganz anders an der Oberfläche als vorher. Wenn man die Spannung verringert kehrt sich dieser Effekt um: „Wir können die Oberfläche nach Belieben immer wieder zwischen diesen beiden Zuständen hin und herschalten“, sagt Stijn Mertens.
Die Tropfenmessmaschine
Untersucht wurde die Benetzbarkeit der Oberfläche mit einem eigens dafür gebauten Messgerät: Durch ein dünnes Glasröhrchen bringt man einen Tropfen Flüssigkeit auf die Oberfläche auf. Der Tropfen wird auf genau definierte Weise grösser und kleiner gemacht, gleichzeitig wird seine Form registriert. Ob sich der Tropfen dabei flächig ausbreitet oder eher kompakt bleibt, hängt von den Eigenschaften der Oberfläche ab.
Es gab schon bisher Ideen um die Benetzbarkeit einer Oberfläche gezielt zu verändern und hin und her zu schalten. Man kann zum Beispiel organische Moleküle auf der Oberfläche aufbringen, die durch bestimmtes Licht ihre Form verändern. Allerdings sind solche Moleküle viel komplizierter und instabiler als die Materialien, die nun eingesetzt wurden. „Unsere Oberfläche besteht nur aus einer einzigen Atomschicht, sie ist völlig anorganisch und behält ihre Eigenschaften sogar wenn man sie im Vakuum auf 1000°C erhitzt“, sind sich Stijn Mertens und Thomas Greber einig. „Das bedeutet, dass man das Material auch für Anwendungen nutzen kann, bei denen die organischen Varianten längst kaputtgehen würden, im Alltag bis zur Weltraumtechnik.“