Spannung durch Streuung

Physiker weisen optisches Phänomen für elektronische Prozesse nach

29.09.2016 - Deutschland

Theoretisch galt es als möglich, der praktische Beleg allerdings fehlte: Physiker der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) haben erstmals im Experiment nachgewiesen, dass Elektronenströme ebenso wie Licht an sphärischen und zylindrischen Partikeln elastisch gestreut werden können. Da der Effekt robust ist und auch bei Raumtemperatur zuverlässig funktioniert, könnte er die Basis für neue elektrische Metamaterialien und für Bauteile der sensorischen Steuerung sein.

Peggy_Marco; pixabay.com; CC0

Mie-Streuung macht Wolken weiß

Dem Experiment liegt ein optisches Phänomen zugrunde: die Mie-Streuung. Der deutsche Physiker Gustav Mie hatte vor über 100 Jahren mit einer Suspension von Goldnanopartikeln nachgewiesen, dass Licht an kugelförmigen Objekten elastisch gestreut wird, wenn der Durchmesser der Objekte in etwa der Wellenlänge der Strahlung entspricht. Dieser Effekt zeigt sich beispielsweise an Nebel und Wolken, die weiß aussehen, weil das gesamte optische Spektrum des einfallenden Lichts in den Tröpfchen des Wasserdampfs nach vorn gestreut wird. Partikel, die deutlich kleiner sind als die Wellenlänge des Lichts, etwa Luftmoleküle, streuen das hochfrequente blaue Licht stärker als das niederfrequente rote – deshalb erscheint uns der Himmel blau.

Prinzip auf Elektronik übertragbar

Seit Jahren wird vermutet, dass sich der Mie-Effekt auch auf elektronische Prozesse übertragen lässt. „Bezüglich Energie und Impuls verhalten sich Elektronen in bestimmten Materialien ähnlich wie Licht“, erklärt Prof. Dr. Vojislav Krstić, Professor für Angewandte Physik an der FAU. „Allerdings konnte die Mie-artige Streuung von Elektronen bislang nicht nachgewiesen werden.“ Genau das aber ist Krstić gemeinsam mit Forscherkollegen der FAU nun gelungen. Dafür haben die Physiker Metallscheibchen mit einer Stärke von etwa 50 Nanometern und 100 Nanometern Durchmesser auf Graphen, ein zweidimensionales, hexagonales Gitter aus Kohlenstoffatomen, aufgedampft. Krstić: „Im Grunde haben wir das Mie-Experiment in eine zweidimensionale Anordnung gebracht: Statt der in einer Suspension schwimmenden Goldpartikel haben wir ein symmetrisches Raster aus Titan- und Palladiumscheibchen verwendet, und die Elektronen des zweidimensionalen Graphens ersetzen die Lichtwellen.“

Kaskadeneffekt durch Drehung

Die Forscher haben durch die Graphen-Metallraster-Probe einen konstanten Strom fließen lassen, wodurch der Impuls für die Bewegung der Kohlenstoff-Elektronen vorgegeben wurde. Der Grundgedanke in Analogie zur Optik: Durch Streuung der Elektronen – die quantenphysikalisch auch als Wellen aufgefasst werden können – an einem Metallscheibchen wird eine neue, räumlich symmetrisch fortlaufende Wellenfront erzeugt, die wiederum auf weitere Punkte im Metallraster trifft. Liegen die Metallscheibchen nicht parallel zur Fließrichtung des Stroms, sondern wie im Experiment um 30 Grad gedreht, dann werden die entstehenden Wellen kaskadenartig zu einer Seite hin abgelenkt. „Im Endeffekt befinden sich – quer zur Stromrichtung gesehen – auf einer Seite mehr Elektronen als auf der anderen“, erklärt Vojislav Krstić. „Und das bedeutet, es liegt eine messbare Spannung an.“ Diese Transversalspannung haben Krstić und seine Kollegen zuverlässig gemessen und damit den experimentellen Nachweis erbracht, dass für Ströme aus Elektronen mit direkt proportionaler Beziehung zwischen Energie und Impuls dieselben Prinzipien gelten wie für die Streuung von Lichtwellen an sphärischen Objekten.

Robuste Ergebnisse für praktische Anwendungen

Besonders wichtig ist den Forschern, dass das Experiment sehr robust ist und weder ein Vakuum noch extrem niedrige Temperaturen erfordert. „Unsere Ergebnisse könnten schon bald die Grundlage für elektrische Metamaterialien sein – also Materialien, die gezielt hergestellte nicht-lineare elektrische Eigenschaften haben und somit schaltbare bandbreitige Stromfrequenzmodulationen ermöglichen“, sagt Krstić. „Darüber hinaus könnte der Effekt für die Entwicklung von umschaltbaren Stromteilern oder Sensoren genutzt werden – ähnlich den Hall-Sensoren, die bereits heute zuverlässig als berührungs- und kontaktlose Signalgeber und Strommesser arbeiten. Die Phänomenologie ist identisch.“

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