Geburt von Quasiteilchen in Echtzeit
IQOQI/Harald Ritsch
Die Quantenphysik beschreibt physikalische Vorgänge in Festkörpern und anderen Vielteilchensystemen auch mit Hilfe von Quasiteilchen. Wenn sich zum Beispiel ein Elektron durch einen Festkörper bewegt, erzeugt es auf Grund seiner elektrischen Ladung in der Umgebung eine Polarisation. Diese „Polarisationswolke“ bewegt sich zusammen mit dem Elektron und beide gemeinsam können theoretisch als selbstständiges Quasiteilchen, als Polaron, beschrieben werden. „Man kann das mit einem Skifahrer im Pulverschnee vergleichen“, sagt Rudolf Grimm. „Der Skifahrer ist umhüllt von einer Wolke aus Schneekristallen. Gemeinsam bilden sie ein System, das andere Eigenschaften hat als der Skifahrer ohne Schneewolke.“ Die experimentelle Messung von Quasiteilchen stellt eine große Herausforderung dar. „Diese Prozesse spielen sich im Attosekunden-Bereich ab und ihre zeitaufgelöste Beobachtung ist äußerst schwierig“, erläutert Grimm, der mit seinem Team ultrakalte Quantengase nutzt, um ungelöste Rätsel der Vielteilchenphysik komplexer Quantensysteme mittels Simulation zu ergründen.
Kreißsaal für Quasiteilchen
Ultrakalte Quantengase sind ein ideales Experimentierfeld, um physikalische Phänomene zu erforschen, wie sie in Festkörpermaterialien und auch in exotischen Materiezuständen wie Neutronensternen auftreten. Unter streng kontrollierten Bedingungen können in solchen Gasen Vielteilchenzustände erzeugt und die Wechselwirkung zwischen den Teilchen gezielt manipuliert werden. Die Gruppe um Rudolf Grimm am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck ist international führend auf diesem Forschungsgebiet und konnte nun gemeinsam mit Theoretikern der Harvard University, der TU München und der Monash University in Australien erstmals die Quasiteilchendynamik in Echtzeit studieren. Die Forscher erzeugen in einer Vakuumkammer ein ultrakaltes Quantengas aus vielen Lithiumatomen und wenigen Kaliumatomen in deren Mitte. Für beide Atomsorten werden Isotope verwendet, die als Fermionen den gleichen fundamentalen Charakter wie Elektronen haben. Über Magnetfelder lassen sich deren Wechselwirkung einstellen und auf diese Weise Fermi-Polaronen erzeugen, d.h. Kaliumatome, die von einer Wolke aus Litihum umhüllt werden. „Die natürliche Zeitskala bei solchen Quasiteilchen liegt im Festkörper bei 100 Attosekunden“, erklärt Rudolf Grimm. „Wir simulieren die gleichen physikalischen Prozesse mit vielen Teilchen und bei sehr viel geringerer Dichte. Die Entstehung der Polaronen dauert hier einige Mikrosekunden.“ Auch dies stellt für die Messung noch eine große Herausforderung dar. „Wir haben aber eine neue Methode gefunden, wie man die Geburt eines Polarons quasi in Echtzeit beobachten kann“, freut sich Quantenphysiker Grimm und blickt bereits in die Zukunft: „Das könnte interessant sein, um die Quantenphysik superschneller elektronischer Bauelemente besser zu verstehen.“
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