Ein harter Knochen: Carbonbeton

Chemiker finden heraus, wie sich mit gerichteten Carbon-Kurzfasern kostengünstig extrem fester Zement herstellen lässt

14.10.2016 - Deutschland

Wissenschaftler um Prof. Dr. Dirk Volkmer am Lehrstuhl für Festkörperchemie der Universität Augsburg berichten im Journal "Cement and Concrete Research" erstmals von einem einfachen und ressourceneffizienten Verfahren, mit dem eine gezielte Ausrichtung von Carbon-Kurzfasern in zementären Baustoffen erreicht werden kann. Das mit diesem Verfahren erzeugte Material weist eine außergewöhnliche Festigkeit auf, die den eigentlich spröden Werkstoff „Zement“ in die Liga von zähen high-performance Strukturbiomaterialien wie Knochen oder Muschelschalen aufsteigen lässt. Das Material wurde in Zusammenarbeit mit dem Baustoff-Unternehmen Schwenk KG entwickelt – verbunden mit der Vision, zukünftig auf eine Stahlarmierung von Betonbauteilen verzichten zu können.

© IfP/Universität Augsburg

Abb. 1: Mörtel mit parallel ausgerichteten Carbon-Kurzfasern (Rasterelektronenmikroskop-Aufnahme). Innenbild: Schematische Skizze des Düsenverfahrens zur Ausrichtung von Carbon-Kurzfasern in Baustoffen.

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Abb. 2: Die Messkurven (3 Punkte-Biegung) von Normalbeton, Mörtel mit gerichteten Carbon-Kurzfasern, Knochenhartgewebe und Buchenholz zeigen die vergleichsweise geringe Festigkeit von Normalbeton.

© IfP/Universität Augsburg
© IfP/Universität Augsburg

Faserverstärkte Mörtel und Betone finden wachsendes Interesse in der Bauindustrie, da durch Faserzusätze die geringe Zugfestigkeit von unbewehrtem Beton verbessert werden kann. Speziell Carbonfasern verbinden die Vorteile von geringer Dichte und hoher Korrosionsbeständigkeit mit hervorragender Festigkeit. Aufgrund ihrer hohen Herstellungskosten wurden sie bisher aber nicht in größerem Maßstab in Betonbauteile eingebracht.

Mehr Festigkeit durch gezielte Carbonfaser-Ausrichtung

Beim Gießen von faserbewehrtem Beton in Formen oder Schalungen werden die Fasern stets zufällig orientiert. Da jedoch tragende Strukturen von Gebäudekonstruktionen meist nur in einer Richtung belastet werden, bleibt bei regelloser Orientierung der Fasern ein großer Teil ihres Potenzials für eine Festigkeitssteigerung ungenutzt. "Würden hingegen alle Fasern parallel entlang der Kraftlinien ausgerichtet, die auf das Werkstück einwirken, könnten auch geringe und damit ressourcenschonende Faserbeimischungen eine große Wirkung zeigen. Dies war unser Grundgedanke", so Prof. Dr. Dirk Volkmer, "denn ähnliche Strategien finden sich in der Natur in Strukturmaterialien, so z. B. im natürlichen Knochen, dessen Aufbau an stark belasteten Stellen durch ausgerichtete Collagenfasern passend verstärkt wird."

Diesen Überlegungen folgend hat Volkmers Augsburger Forschergruppe ein Konzept entwickelt, das ein gezieltes Ausrichten von Carbon-Kurzfasern in einer Mörtelmischung möglich macht.

Düsen statt Schalen und Gießen

Die Wissenschaftler verfolgten einen neuartigen Ansatz, mit dem sie dem typischen Gießen der Mörtelmischung in Schalungen den Rücken kehrten. Sie entwickelten ein "Düsenverfahren", bei dem die Faser-Zementmasse durch eine enge Düse gepresst wird. Der Clou dabei: Durch eine entsprechende Anpassung des Düsenquerschnitts kann eine Vorzugsausrichtung der Fasern beim Durchtritt durch die Düse erzwungen werden, wie aus Abbildung 1 ersichtlich wird. Die Carbon-Kurzfasern orientieren sich dabei parallel zur Richtung der Mörtelmasse bei deren Austritt durch die Düse (siehe Abb. 1, Innenbild).

Äußerst zäh und bruchfest

„Zunächst haben wir an einer möglichst homogenen Verteilung der Carbon-Kurzfasern in der Mörtelmischung gearbeitet“, berichtet Volkmers Doktorand Manuel Hambach. „Wir haben aber schnell herausgefunden, dass mit solch einer homogenen Verteilung allein nur eine begrenzte Steigerung der Festigkeit möglich ist, da die Fasern ja in allen drei Raumrichtungen orientiert sind. Erst mit unserem Düsenverfahren und der Ausrichtung der Fasern entlang der auftretenden Zugkräfte erhielten wir ein Material, das äußerst zäh und bruchfest ist.“

Festigkeitssteigerung um 1340%

Die Wissenschaftler konnten nachweisen, dass Proben, die mit diesem Düsenverfahren hergestellt werden und 3 % Volumenanteile gerichteter Carbon-Kurzfasern enthalten, Biegezugfestigkeiten von bis zu 120 Megapascal (MPa) erreichen. Das Pascal ist eine Einheit zur Definition des Drucks oder der mechanischen Spannung - und zum Vergleich: Eine Betonprobe ohne Faser- oder Stahlbewehrung weist lediglich 8 MPa Biegezugfestigkeit auf. Durch die gezielte Faserorientierung kann also eine Festigkeitssteigerung um 1340 % erreicht werden, wodurch das Material extrem zugfest wird, wie die Abbildung 2 zeigt.

Gebäude ohne Stahlbeton

Weiterhin konnten die Augsburger Forscher zeigen, dass die Druckfestigkeit, die ebenfalls sehr wichtig für Mörtel und Beton ist, durch die zur Steigerung der Biegezugfestigkeit gewünschte und erzielte Ausrichtung der Carbon-Kurzfasern nicht negativ beeinflusst wird. "Unsere Mischung aus Zement, Wasser und gerichteten Carbon-Kurzfasern ist damit der erste zementäre Baustoff, der über eine Biegezugfestigkeit verfügt, die höher ist als seine Druckfestigkeit. Für die Entwicklung von Gebäudekonstruktionen, bei denen die übliche Stahlbewehrung reduziert oder bei denen auf solch eine Stahlbewehrung komplett verzichtet werden soll, ist dies ein wichtiger Meilenstein", so Volkmer, "denn unser Material weist ähnlich hohe Festigkeiten auf wie das Hartgewebe von Säugetierknochen, das Wissenschaftler aus aller Welt seit Jahrzehnten biomimetisch nachzuahmen versuchen."

Umsetzung mit 3D-Druck

Damit dieser neue Baustoff allerdings den Weg in eine praktische Anwendung finden kann, wird es von entscheidender Bedeutung sein, technische Konzepte zur Übertragung des Düsenverfahrens auf realitätsnahe Abmessungen von Gebäudebauteilen zu entwickeln. Das derzeitige Verfahren ist mit den derzeit üblichen Verarbeitungsmethoden auf Baustellen nämlich noch nicht vereinbar, wie Volkmer einräumt. Aber auch für dieses Problem haben die Augsburger Wissenschaftler bereits eine potentielle Lösung parat: Im 3D-Druck, der immer mehr an Bedeutung in der Materialforschung und -entwicklung gewinnt, sehen sie in diesem Kontext ein zukunftsträchtiges Konzept. "Erste Prototypen von Häusern, die mit Hilfe von 3D-Druckern hergestellt wurden, erregen schon seit einigen Jahren das öffentliche Interesse", sagt Volkmer. Zwinkernd verweist er in diesem Zusammenhang auf den kürzlich gelegten Grundstein für das neue Augsburger Forschungsgebäude "Materials Resource Management" (MRM), der von seinem Team mit einem 3D-Drucker aus FIBRACRETE - so die interne Bezeichnung für den Augsburger Carbon-Kurzfasermörtel - angefertigt wurde.

Multifunktionale Anwendungsmöglichkeiten

Außer durch seine hohe Festigkeit zeichnet sich FIBRACRETE auch durch seine multifunktionalen Anwendungsmöglichkeiten aus. So konnten Volkmer und seine Gruppe bereits in einer Publikation Anfang 2016 über den Nachweis der elektrischen Beheizbarkeit von Zementmörtel mit Carbon-Kurzfasern berichten.

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