Supraleitfähigkeit und Ferroelektrizität können kooexistieren

Konkurrierende Materiezustände interagieren in chemisch modifiziertem Strontiumtitanat

15.05.2017 - Deutschland

Supraleitfähigkeit und Ferroelektrizität sind zwei Materiezustände, die im Allgemeinen wenig miteinander zu tun haben. In supraleitenden Materialien verschwindet der elektrische Widerstand unterhalb einer so genannten Sprungtemperatur vollständig, was diese Stoffe besonders interessant für technische Anwendungen macht.

Ferroelektrizität resultiert aus einer strukturellen Instabilität eines Materials, so dass unterhalb einer bestimmten Temperatur eine Veränderung der Kristallstruktur stattfindet. Hierbei bildet sich eine elektrische Polarisation, welche durch ein elektrisches Feld umgekehrt werden kann. Bislang war unklar, ob diese beiden Zustände überhaupt gemeinsam in einer Verbindung auftreten können und, falls ja, wie sie sich gegenseitig beeinflussen.

Ein deutsch-französisches Team konnte nun experimentell zeigen, wie Ferroelektrizität und Supraleitfähigkeit gleichzeitig im selben Material koexistieren. Die Wissenschaftler konnten nachweisen, dass die Anwesenheit von Ferroelektrizität die supraleitende Phase sogar stabilisiert und deren Sprungtemperatur anhebt. Sie verwendeten für ihr Experiment Strontiumtitanat (SrTiO3), ein transparentes, elektrisch isolierendes Material mit annähernd kubischer Kristallstruktur. Erst die Dotierung – das Einbringen von Fremdatomen – mit Kalzium und das Einbringen von Sauerstofffehlstellen generiert diesen exotischen Grundzustand. Beteiligt an der Studie war ein Team um die Professoren Dr. Joachim Hemberger und Dr. Thomas Lorenz vom II. Physikalischen Institut der Universität zu Köln sowie das Laboratoire Physique et Etude de Matériaux der Universität Paris. Das Projekt wurde im Rahmen der Exzellenzinitiative der Universität zu Köln im Kompetenzbereich III „Quantum Matter and Materials“ gefördert und profitierte von Kooperationen innerhalb des Sonderforschungsbereichs 1238 „Control and Dynamics of Quantum Matter“.

Das untersuchte Übergangsmetall-Oxid SrTiO3 wird als Quanten-Paraelektrikum bezeichnet, denn es ist fast ferroelektrisch, aber eine makroskopische ferroelektrische Ordnung wird durch Quanten-Fluktuationen verhindert. Geringfügige Dotierung mit Kalzium unterdrückt diese Fluktuationen und das System wird ferroelektrisch. Durch leichte Veränderungen im Sauerstoffgehalt lassen sich zudem freie Elektronen erzeugen, so dass SrTiO3 leitfähig und bei tiefen Temperaturen sogar supraleitend wird.

Die Wissenschaftler um Carl Willem Rischau untersuchten nun den Einfluss einer simultanen Dotierung in dem Material Sr1−xCaxTiO3−δ (0.002 < x < 0.009, δ < 0.001). In ihren Experimenten zeigt sich, dass das auf beide Weisen dotierte Material nicht nur supraleitfähig wird, sondern gleichzeitig auch polare, ferroelektrische Gitterverzerrungen auftreten. Das bedeutet, dass in Sr1−xCaxTiO3−δ der ferroelektrische Zustand mit der Supraleitfähigkeit koexistiert. Außerdem beobachten die Wissenschaftler, dass die supraleitende Sprungtemperatur in Sr1−xCaxTiO3−δ im Vergleich zu den Kalzium-freien Systemen sogar ansteigt. Zwar existieren die supraleitend-ferroelektrischen Mischphasen aktuell nur in einem Temperaturbereich unterhalb von 1 Kelvin (-272°C), aber es besteht die Hoffnung den gefundenen stabilisierenden Einfluss von Ferroelektrizität auf die Supraleitung auch in anderen Systemen etablieren und so ggf. zu höheren Temperaturen vordringen zu können.

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