Molekulares Lego

Faszinierende Eigenschaften von neuartiger Polymerklasse untersucht

25.07.2017 - Deutschland

Sie können ihre Farbe wechseln, ihren Spin verändern oder von fest zu flüssig wechseln: Eine bestimmte Klasse von Polymeren besitzt faszinierende Eigenschaften. Wie sie das schaffen, haben Forscher der Uni Würzburg untersucht.

AG Kurth

Metallionen, wie Eisen, Cobalt, Nickel oder Zinn, und Liganden bilden in Lösung spontan meist bunt gefärbte MEPE. Die Gruppe von Dirk Kurth hat nachgemessen, wie schnell sie entstehen.

Bei dieser Arbeit handele es sich um ein „Hot Paper“, das interessante und wichtige Aspekte einer neuen Polymerklasse behandelt, die aufgrund ihrer Vielfalt an technologischen Anwendungen zurzeit auf großes Interesse stößt: Zu diesem Urteil sind die Herausgeber der Fachzeitschrift Chemistry – A European Journal gekommen, nachdem sie die jüngste Studie aus dem Arbeitskreis von Professor Dirk Kurth und seiner Doktorandin Stefanie Munzert gelesen haben.

Die Wissenschaftler interessieren sich für eine bestimmte Klasse von Polymeren mit einem komplizierten Namen – die sogenannten Metallo-supramolekularen Koordinationspolyelektrolyte oder, kurz, MEPE. Diese weisen eine Reihe interessanter Eigenschaften auf, über deren Grundlagen bisher wenig bekannt war. Das ändert sich jetzt mit den neuen Forschungsergebnissen aus Würzburg.

Elektrische Spannung verändert die Farbe

Dirk Kurth ist Pionier auf dem Gebiet der MEPE. Er hat diese Stoffklasse Mitte der 1990er-Jahre entdeckt und forscht seitdem an ihnen. „MEPE verfügen über herausragende elektrochrome Eigenschaften“, erklärt er. Das bedeutet: Legt man eine geringe Spannung von wenigen Volt an Materialien, die aus MEPE aufgebaut sind, ändern sie ihre Farbe. Damit eignen sie sich beispielsweise zur Herstellung einer innovativen Verglasung, sogenannter Smart Windows.

Als Bestandteil poröser Festkörper sind sie in der Lage, ihr Fließverhalten im elektrischen Feld zu ändern. Ihre Eigenschaften pendeln ganz nach Wunsch zwischen flüssig und so gut wie fest. Damit bieten sie sich beispielsweise an für den Einsatz im Maschinenbau in Gestalt regelbarer Kupplungen oder in der Medizin, wenn es darum geht, frisch operierte Gelenke vor hohen Belastungen zu bewahren.

Des Weiteren zeigen MEPE unter bestimmten Umständen einen Temperatur-induzierten Spin-übergang. Elektronen verändern dann ihren Spin, also ihre Drehrichtung, und damit auch ihr magnetisches Moment.

Präzise Vorhersagen sind jetzt möglich

Obwohl diese Eigenschaften für technologische Entwicklungen von zentraler Bedeutung sind, sind der Aufbau und die Entstehung dieser neuartigen Polymerklasse kaum verstanden. Dabei ist ihre Herstellung denkbar einfach. „Das ist eine Art ‚molekulares Lego‘, bei dem sich die Türmchen allerdings von selbst aufbauen“, erklärt Professor Kurth. Die Forscher müssen dazu nur im Labor zu einer Lösung eines Metallsalzes eine Lösung sogenannter Terpyridinliganden hinzufügen – der Rest geschieht ganz von selbst.

Wie dieser Prozess vonstattengeht, wie schnell er abläuft und wie er sich steuern lässt, war bislang allerdings unklar. Das ändert sich mit der Veröffentlichung der Würzburger Forschungsergebnisse und macht die Arbeit zum Hot Paper. „Unsere Ergebnisse lassen zum ersten Mal Vorhersagen zu, unter welchen Bedingungen die jeweiligen Prozesse wie lange dauern“, sagt Dirk Kurth. Forscher können damit exakte Vorgaben definieren, die erfüllt sein müssen, damit am Ende ein Material mit den gewünschten Eigenschaften herauskommt.

Zuvor sei das eher eine Sache von Trial & Error gewesen, so Kurth. Wollte ein Wissenschaftler bislang aus einer Lösung einen Film mit einer bestimmten Viskosität herstellen, konnte er nur vermuten, ob das nach Stunden, Tagen oder gar Wochen der Fall sein würde. Jetzt hat er eine Art „Kochrezept“ an der Hand, das ihm sagt, wie er vorgehen muss, um das Ziel zu erreichen. Zusätzlich hat das Team um Dirk Kurth einen einfachen Weg entdeckt, mit dem sich der Prozess beschleunigen lässt: Durch die Zugabe von Salz entstehen die MEPE schneller!

Stäbchenartige Aggregate unter dem Mikroskop

Ebenfalls zum ersten Mal ist es den Wissenschaftlern gelungen, ein Bild der MEPE mit molekularer Auflösung zu liefern. Verantwortlich dafür waren die Kooperationspartner vom Weitzman Institute in Israel. Sie haben die MEPE-Lösung quasi „schockgefroren“ und anschließend mit dem Elektronenmikroskop untersucht. Was sie gesehen haben, waren stäbchenförmig Strukturen, die mehrere hundert Nanometer lang sein können.

Dirk Kurth versteht seine Arbeit als Grundlagenforschung, aus der technologische Anwendungen abgeleitet werden können. Dennoch hält er sich mit Aussagen über Einsatzmöglichkeiten zurück. Er will lieber ein tieferes Verständnis von den Vorgängen gewinnen; ihn interessiert die Frage, wie MEPE mit elektrischen oder mechanische Felder wechselwirken, auf äußere Stimuli reagieren, oder welche reaktiven Eigenschaften MEPE besitzen, ob sie bestimmte Reaktionen – ähnlich wie ein Katalysator – in Gang setzen können und welche Stimuli dafür möglicherweise nötig sind. Das will er nun weiter erforschen.

Originalveröffentlichung

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