Katalysatoren spielen eine Schlüsselrolle in vielen technischen Prozessen und im Umweltschutz. Um sie gezielter entwickeln zu können, muss man ihre chemisch aktiven Oberflächen und ihre atomare Struktur genau kennen. Experimentelle und mittlerweile auch theoretische Methoden erlauben zwar sehr detaillierte Einblicke. Doch diese bleiben oft nur auf niedrige Drücke und Temperaturen beschränkt, die sich von den tatsächlichen technologischen Bedingungen erheblich unterscheiden und daher nur bedingt Aufschluss über Gestalt und Reaktionsverhalten eines Katalysators in der Praxis geben. Wissenschaftlern des Berliner Fritz-Haber-Instituts gelang es nun mit Hilfe von Computerberechnungen erstmals, die Struktur und katalytische Aktivität eines Modellkatalysators über den gesamten Druck- und Temperaturbereich, der bei Experimenten und technischen Anwendungen eine Rolle spielt, zu simulieren. Ihre Forschungsergebnisse ermöglichen neue Einblicke, unter welchen Bedingungen Materialoberflächen besonders aktiv werden. Die neue Methode ist zugleich ein wichtiger Schritt, um die heute in Theorie und Laborexperiment noch bestehenden Grenzen für die Katalysatorentwicklung zu überwinden (Physical Review Letters, 31. Januar 2003). Katalysatoren sind bei vielen technischen Prozessen im Einsatz, wie in der Abgasreinigung oder der chemischen Industrie, wo über 90 Prozent aller Produkte im Laufe ihrer Herstellung mit mindestens einem Katalysator in Kontakt kommen. Katalysatoren lenken und beschleunigen chemische Umsetzungen und unterdrücken ungewollte Nebenreaktionen. Doch trotz ihrer hohen ökonomischen und ökologischen Bedeutung ist die Forschung noch weit von einem mikroskopischen Verständnis ihrer Wirkungsweise entfernt - den jeweils geeigneten Katalysator zu finden, gelingt bislang oft nur mit Hilfe aufwändiger Versuchsreihen gepaart mit chemischer Intuition. Die gezielte Entwicklung neuer Materialien für die heterogene Katalyse erfordert zunächst genaue Kenntnis über den atomaren Aufbau der Oberfläche während der chemischen Reaktion. Leider funktionieren die Techniken, die solche Informationen mit atomarer Auflösung liefern könnten, nicht unter technologisch relevanten Bedingungen, d.h. bei Drücken von mindestens 1 bar (dem Atmosphärendruck) und Temperaturen weit oberhalb der Raumtemperatur. Folglich beruht unser derzeitiges Wissen über Katalysatoroberflächen weitgehend auf Experimenten im Ultrahochvakuum (UHV, bei Drücken kleiner als 1/10 Milliardstel bar). Obgleich diese Experimente von großem Wert für das konzeptionelle Verständnis sind, lassen sich ihre Ergebnisse oft nicht auf die technisch erforderlichen Bedingungen anwenden, ein Umstand, der seit geraumer Zeit mit dem Begriff "Druck- und Materiallücke" (pressure and materials gap) umschrieben wird. An der Überbrückung dieser Lücke, d.h. einer genauen Kenntnis, wie die Katalysatoroberfläche vom Ultrahochvakuum bis hin zum realen technischen Betrieb beschaffen ist, arbeiten Wissenschaftler heute weltweit. Eine entsprechende "Lücke" besteht auch in der theoretischen Beschreibung der Katalysatoroberflächen: Leistungsfähige quanten-mechanische Rechenverfahren, oft auf der Dichtefunktionaltheorie (DFT, Nobelpreis für Chemie 1998) aufbauend, erlauben zwar die Modellierung immer komplexerer Festkörperoberflächen. Doch auch wenn mit solchen so genannten first principles Rechnungen die atomare Struktur von Oberflächen sehr genau beschrieben werden kann, erstrecken sie sich nicht auf die den Katalysator umgebende Gasphase, d.h. sie laufen quasi bei einem Druck von 0 bar ab und sind daher mit UHV-Experimenten vergleichbar. Um diese "theoretische Drucklücke" zu umgehen, haben Wissenschaftler des Berliner Fritz-Haber-Institutes jetzt eine spezielle Verknüpfung der Dichtefunktionaltheorie mit klassischen Methoden der Thermodynamik entwickelt. Auf diese Weise gelang es ihnen erstmals, die Oberflächenstruktur eines Modellkatalysators im gesamten Druckbereich vom UHV bis zu technologisch relevanten Bedingungen theoretisch vorherzusagen. Das auf diese Weise erstellte Phasendiagramm (Abb. 1) zeigt, an welchen atomaren Plätzen die beiden Reaktanden Sauerstoff (O) und Kohlenmonoxid (CO) bei welchen Druck- und Temperaturbedingungen chemische Bindungen mit der Oberfläche eingehen (adsorbieren). Ein solches Phasendiagramm gibt den Wissenschaftlern jetzt genauere Kenntnisse darüber, in welche Richtung die Druck- und Temperaturparameter im Experiment geändert werden können, ohne dass für die Katalyse wichtige Messgrößen dabei beeinträchtigt werden. Dies wiederum ermöglicht es, die bisherigen UHV-Experimente gezielter dafür einzusetzen, um die Wirkungsweise des Katalysators unter bisher nicht zugänglichen technischen Bedingungen zu untersuchen. Darüber hinaus haben die Forscher aus dem berechneten Phasendiagramm auch jene Druck- und Temperaturbedingungen identifiziert, unter denen eine besonders hohe katalytische Aktivität erwartet werden kann. Die theoretisch ermittelten Bedingungen für das CO-O-Modellsystem stehen im Einklang mit den zuvor im Experiment ermittelten Parametern. Mit ähnlich gearteten Vorhersagen könnte es deshalb möglich werden, den Katalysator in anderen, noch nicht so gut untersuchten Systeme zu optimieren. Bis zu einem wirklich umfassenden mikroskopischen Verständnis der Festkörperkatalyse ist dieser Ansatz allerdings noch wesentlich zu erweitern, meint Prof. Matthias Scheffler, Direktor am Fritz-Haber-Institut. Gerade unter den nun identifizierten katalytisch geeigneten Druck- und Temperaturbedingungen seien einige der bisherigen Annahmen zusammengebrochen. Deshalb müsse eine weiterführende Analyse auf wesentlich aufwändigeren Verfahren der statistischen Mechanik aufbauen, die momentan aber noch nicht handhabbar sind und die Forscher noch einige Jahre beschäftigen könnten.