Studie: Pharmaindustrie entdeckt Produktlebenszyklus Management
Die steigende Wichtigkeit von Lebenszyklus Management lässt sich unter anderem aus der Tatsache herleiten, dass Forschung und Entwicklung für neue Blockbuster-Medikamente immer schwieriger werden. Fallen nun Wirkstoffe aus dem Patentschutz sinken die Umsätze rapide. Bis zum Jahr 2008 werden dadurch weltweit rund 64 Milliarden Euro* an Umsätzen verloren gehen. Laut einer Analyse von Capgemini sind etwa 150 neue patentgeschützte Wirkstoffe (NME) erforderlich, um die Pipeline aufzufüllen.
"Der Erfolg der Pharmaindustrie baut bis heute auf kontinuierlich auf den Markt kommenden, hoch profitablen Medikamenten auf. Wenn nun in Zukunft dieser Fluss ins Stocken gerät und gleichzeitig bestehende Produkte weniger Umsatz erzielen, müssen die Unternehmen auf andere Art ihre Gewinne aus den bestehenden Sortimenten ziehen - eben dem Lebenszyklus Management", so Günther Illert, Leiter des Life Sciences-Bereichs bei Capgemini in Zentraleuropa.
Bedrohung durch Generika
Zusätzlich zu der abnehmenden Forschungs- und Entwicklungsproduktivität erfahren die Pharmahersteller Konkurrenz durch andere Präparate sowie Generika. So beträgt bei einigen Medikamenten die Marktexklusivität weniger als ein Jahr. Nachahmerprodukte kommen sehr schnell in die Regale und gewinnen hohe Marktanteile. Im Jahr 2003 wurden weltweit Generika im Wert von geschätzten 24 Milliarden Euro* verkauft. Im Vergleich zum gesamten Pharmaumsatz von mehr als 355 Milliarden Euro* scheint dies wenig. Durch den hohen Preisunterschied bei den Produkten ist der tatsächliche Marktanteil der Generika aber bedeutend höher als der Vergleich glauben macht. In einigen Ländern wie Großbritannien oder den Niederlanden haben Generika einen Verschreibungsanteil von mehr als 50 Prozent. "Die kürzlich erfolgte Gründung des neuen Verbandes Pro Generika wird die Debatte in Deutschland erneut anheizen", so Illert.
Obwohl die befragten Unternehmensvertreter die Bedeutung von Lebenszyklus Management hoch einschätzen, sind nur 19 Prozent der Meinung, dass ihre Firma hier sehr gut aufgestellt ist. Als durchschnittlich bewerten die derzeitigen Aktivitäten hinsichtlich Lebenszyklus Management 35 Prozent, während 15 Prozent ein schlechtes Zeugnis ausstellen.
Häufigste Maßnahme: Erweiterung des Indikationsspektrums
Für ein besseres Lebenszyklus Management muss das üblicherweise anzutreffende funktionale 'Scheuklappendenken' aufgegeben und durch eine mehr die gesamte Organisation umfassende Betrachtung ersetzt werden. Ganz abgesehen davon, dass häufig die personelle Verantwortung für Lebenszyklus Management nicht eindeutig geklärt ist. Auch geeignete Messgrößen stellen für viele Firmen noch eine große Hürde dar. Und nicht zuletzt werden vermeintliche Lebenszyklus Management Strategien erst mit dem bevorstehenden Auslauf des Patentschutzes initiiert.
Bei den Maßnahmen für Lebenszyklus Management dominierte bislang die Ausweitung des Indikationsspektrums. 63 Prozent der Experten weisen ihr einen hohen Einfluss auf die Unternehmensprofitabilität zu. Auch in Zukunft wird diese Strategie bedeutend sein. 31 Prozent der Befragten messen ihm eine weiter steigende Relevanz zu. Am stärksten an Gewicht gewinnt jedoch nach Meinung der befragten Pharmamanager das Thema Einlizenzieren, um zum Beispiel von Biotech-Firmen neue Wirkstoffe zu übernehmen, beziehungsweise Allianzen mit Drittfirmen. "Es ist für die Pharmaunternehmen eine gute Strategie ihre leeren Medikamenten-Köcher wieder aufzufüllen. Diese Strategien unterstützen beim Ausbau von Indikationsgebieten, sogenannten Therapeutic Franchises, und können helfen, Marktführerschaft in Schlüsselmärkten zu erreichen", so Illert. Eine gegenläufige Richtung im Lebenszyklus Management sind die sog. OTC-Switches, das heißt der Übergang eines verschreibungspflichtigen Medikaments in den verschreibungsfreien Bereich. Ihre Bedeutung fällt in den nächsten Jahren. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass ein derartiger Wechsel kostenintensiv ist und nur geringen Ertrag bringt.
Ärzte möchten stärker in das Lebenszyklus Management eingebunden werden
Neben Vertretern der Pharmaindustrie wurden in der Untersuchung auch über 8.000 Ärzte, davon 471 aus Deutschland, befragt. Die Mehrheit von ihnen würde gerne stärker in die Produktlebenszyklus Management Strategien einbezogen werden. In Deutschland gehen zu diesem Punkt in der Ärzteschaft die Meinungen stärker als international auseinander. Über alle Länder hinweg sehen die Ärzte eine Indikationsausweitung als geeignetste Form einer Lebenszyklus Management-Strategie. Juristischen Maßnahmen zur Verlängerung des Lebenszyklusses stehen Ärzte in Deutschland ablehnend gegenüber.
"Ein umfassender Ansatz für Produktlebenszyklus Management steckt in der pharmazeutischen Industrie noch in den Kinderschuhen. Die Branche kann noch viel von der Konsumgüter- oder Automobilindustrie lernen", fasst Günther Illert zusammen. "Das Management hat das Thema durchaus auf der Agenda. Doch haben in der Vergangenheit hohe Renditen und gut gefüllte Pipelines ein Produktlebenszyklus Management nicht wirklich akut werden lassen. Das ändert sich nun."