Forscher klären "Sauergeschmack" auf

Was macht der Herzschrittmacher in der Zunge?

02.11.2001

Was passiert in den Geschmacksknospen der Zunge, wenn sie durch einen Schluck Zitronensaft stimuliert werden? Keine leichte Frage, denn bisher konnte der Geschmacksinn im Gegensatz zum Sehen und Riechen nur unvollständig aufgeklärt werden. Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich, der Saar-Universität Homburg und des Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam haben aber nun eine überraschende Entdeckung gemacht: ein besonderer Ionenkanal in der Zellmembran, der normalerweise den Herzschlag steuert und viele Gehirnfunktionen reguliert, ist in der Zunge für die Geschmacksempfindung "sauer" verantwortlich.

Sie sorgen für Genuss oder Abneigung: die kleinen Geschmacksknospen auf der Zunge, die für die verschiedenen Geschmacksrichtungen verantwortlich sind. Die Geschmacksknospen sind aus den Geschmackszellen aufgebaut, von denen die meisten auf eine bestimmte Geschmacksrichtung spezialisiert sind. Wenn diese Zellen zum Beispiel Zuckerstoffe binden, wird die Nahrung als süß empfunden. Besitzen sie eine Bindungsstelle für Glutamat, einen Geschmacksstoff, der in Fleisch reichlich vorhanden ist, entsteht der Geschmackseindruck umami. Die Geschmacksstoffe lösen einen chemische Reiz aus, der in elektrische Erregung umgewandelt wird und dem Gehirn signalisiert: da schmeckt etwas süß, sauer, salzig, bitter oder umami. Die Wissenschaftler haben nun in einigen Geschmackszellen einen besonderen Ionenkanal gefunden, der auf saure Reize reagiert. Ionenkanäle sind Poren in der Zellmembran, die im geöffneten Zustand elektrisch geladene Teilchen - Ionen - von einer Seite der Membran auf die andere fließen lassen. Der Ionenkanal in der Zunge war den Forschern bisher nur aus Herz und Gehirn bekannt. Zellen, die über diesen Kanal verfügen, sind rhythmisch aktiv und sorgen im Herzen für die Kontraktion des Herzmuskels. Deshalb werden sie auch Schrittmacherkanäle genannt. Im Gehirn kontrolliert die rhythmische Aktivität von Nervenzellen unter anderem den Bewusstseins- bzw. Schlafzustand. "Wegen ihrer ungewöhnlichen Eigenschaften wurden diese Ionenkanäle auch als ,funny' bezeichnet", erklärt Ulrich Benjamin Kaupp, Leiter des Jülicher Instituts für Biologische Informationsverarbeitung (IBI-1). Die Jülicher Forscher sind den Schrittmacherkanälen schon lange auf der Spur. Sie entdeckten vor drei Jahren den genetischen Bauplan dieser mikroskopisch kleinen Poren. Das gab ihnen die Möglichkeit, diese Ionenkanäle genau zu untersuchen. Die Wissenschaftler reizten sie mit Protonen. Diese elektrisch geladenen Teilchen sind dafür verantwortlich, dass die Zitrone sauer schmeckt. Aber auch in süß schmeckenden Getränken wie Coca-Cola oder Champagner sind die Protonen in ähnlich hoher Konzentration enthalten. Den Säuregrad messen die Forscher als pH-Wert. Bei niedrigen pH-Werten konnten die Wissenschaftler in den Geschmackszellen nun einen erhöhten Ionenstrom durch den Schrittmacherkanal messen. Der Ionenkanal besitzt folglich Bindungsstellen für Protonen und dient deshalb als Rezeptor. Bei hohen Protonenkonzentrationen öffnet er und lässt Ionen hindurch, wodurch sich die elektrische Spannung an der Membran ändert. Damit hat das Forscherteam den "Sauer-Geschmack" aufgeklärt und entdeckt, dass Schrittmacherkanäle auch Protonen-gesteuert arbeiten. Bisher war nur bekannt, dass sich diese Ionenkanäle bei einer bestimmten Spannung öffnen oder aber bei Ando-cken kleiner Botenstoffe in den Zellen. Dieses Ergebnis ist auch für Mediziner und Pharmakologen interessant. Denn genaue Kenntnisse über diesen Ionenkanal erlauben es, Substanzen zu entwickeln, welche die Schrittmacherfunktion gezielt beeinflussen können. Dieses Wissen könnte zum Beispiel zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen wichtig werden.

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