Bromiert für die Ewigkeit: Empa- und ETH-Chemiker erforschen Risiken bromierter Flammschutzmittel

21.06.2007

Chemische Flammschutzmittel haben einst den Siegeszug vieler Kunststoffe ermöglicht. Was jedoch vor Feuer schützt, stellt für Umwelt, Tier und Mensch ein potenzielles Risiko dar. Chemiker der Empa haben nun das vielfach verwendete bromierte Flammschutzmittel Hexabromcyclododecan (HBCD) genauer unter die Lupe genommen. Dabei zeigte sich, dass HBCD in mehreren Stereoisomeren, vorkommt. In Zusammenarbeit mit der ETH Zürich entwickelten die Empa-Forscher ein Analysenverfahren, mit dem sie erstmals acht verschiedene Stereoisomere von HBCD unterscheiden und ihre Struktur bestimmen konnten. Die komplizierte Molekülgeometrie von HBCD hat Folgen: Lediglich zwei der Isomere reichern sich in Fischen an. Wie sich die HBCD-Formen sonst noch unterscheiden, müssen weitere Studien klären. Erst dann sei eine abschliessende Risikobewertung von HBCD möglich, so die Empa-Forscher.

Einige Flammschutzmittel stehen im Verdacht, toxisch für Mensch und Umwelt zu sein. Etwa die heute häufig verwendeten bromierten Substanzen, die sich zwar gut ins Plastik mischen lassen, aber in verschiedenen Ökosystemen Probleme bereiten. Als POPs ("Persistant Organic Pollutants") wurden beispielsweise bromierte Diphenylether im Jahr 2004 bis auf eine Ausnahme international verboten. "Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs", sagt der Empa-Chemiker Martin Kohler. "Von vielen heute verwendeten Chemikalien ist nicht bekannt, ob sie den Hormonhaushalt von Mensch und Tier stören."

Bereits im Jahr 2003 machte das Team von Heinz Vonmont auf eine möglicherweise neue Gefahr aufmerksam: Hexabromcyclododecan, kurz HBCD. Die Forscher fanden es angereichert in Fischen aus dem Greifensee, einem Flachsee im Kanton Zürich, sowie in dessen Sediment. Aus den Sedimentschichten lasen sie ab, dass die Konzentrationen an HBCD in der Umwelt im Lauf der letzten 20 Jahre stetig angestiegen waren.

Dieser Zeitraum ist kein Zufall. HBCD ist als Flammhemmer seit 1984 im Handel. Der chemischen Zusammensetzung dieser Substanz wurde bisher wenig Beachtung geschenkt. Doch vor kurzem machten der Empa-Analytiker Norbert Heeb und sein Kollege Bernd Schweizer von der ETH Zürich eine überraschende Entdeckung: HBCD ist in Wirklichkeit ein Gemisch aus mindestens acht Stereoisomeren. Im käuflichen HBCD-Gemisch dominieren zwei Formen, die Gamma-Isomere, stellte Heeb fest: "Bislang wissen wir nicht, ob sie harmlos oder toxisch sind." Als Flammschutzmittel wirken dagegen alle acht Isomere. Die flammhemmende Wirkung beruht nämlich darauf, dass Bromradikale freigesetzt werden, sobald sich der Kunststoff bedrohlich erwärmt.

Niemand weiss bislang viel über die Langzeitwirkung von HBCD in der Umwelt. Eins ist jedoch klar: Je komplexer das zu untersuchende Stoffgemisch, desto schwieriger die Risikobewertung. Im Fisch fanden die Empa-Chemiker beispielsweise nur die beiden Alpha-Formen von HBCD. Sie stehen deshalb im Verdacht, in der Umwelt besonders schwer abbaubar zu sein. "Alpha-HBCD sieht aus wie ein Donut", erklärt Heeb mit Blick auf die dreidimensionale Struktur. "Es weist von allen Isomeren die höchste Symmetrie auf." Möglicherweise mit fatalen Folgen. Es gibt Studien, die zeigen, dass HBCD den Hormonhaushalt und dadurch den Stoffwechsel beeinträchtigen könnte. Auch ein schädlicher Effekt auf Nervenzellen wurde beobachtet.

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