Pharmakonzerne wollen Vertriebskanäle in Europa zu Lasten der Großhändler umbauen

Eigenanteil des Großhandels an pharmazeutischer Distribution sinkt von 75% auf 40%

31.10.2007

Der Pharmavertrieb in Europa, und insbesondere auch in Deutschland als einem der größten weltweiten Märkte, steht vor einem Umbruch. Die global agierenden Arzneimittelhersteller überdenken aktuell ihre europäischen Vertriebsstrategien grundsätzlich und justieren ihre Distributionskanäle neu. Beispiele sind hier das so genannte Free-Pricing-Modell im spanischen Markt und die Direct-to-Pharmacy-Strategie (DTP). Diese haben etwa internationale Player in Großbritannien implementiert. Durch diese Neuorientierung der Pharmakonzerne gerät der Arzneimittelgroßhandel auch in Deutschland zunehmend unter Druck, sein Geschäftsmodell anzupassen.

Die internationale Strategie- und Technologieberatung Booz Allen Hamilton schätzt, dass mehr als die Hälfte der heute über den Großhandel vertriebenen Pharmazeutika mittel- bis langfristig direkt von den Herstellern an die Apotheken vertrieben wird. Vom europäischen Umsatzvolumen von 136 Milliarden Euro (2006) werden aktuell knapp 75% über den Großhandel an Apotheken, Krankenhäuser und dispensierende Ärzte vertrieben. Dieser Anteil könnte sich auf weniger als 40% reduzieren. Schon heute ist DTP ein bewährtes Vertriebsprinzip, insbesondere für biotechnologische Spezialprodukte mit speziellen Anforderungen an die Logistikkette, etwa wenn eine durchgehende Kühlung erforderlich ist. Pharmaunternehmen denken nun verstärkt darüber nach, ihr gesamtes Portfolio auf diesen Vertriebskanal umzustellen.

Die Booz Allen-Analyse basiert auf der Befragung von Top-Führungskräften der größten europäischen Pharmakonzerne. Hier sprach sich mehr als jeder Dritte für eine starke Ausweitung des Distributionskanals DTP aus, insbesondere für Massenarzneimittel und Generika. Die Quintessenz: "Der Druck auf die Großhändler, ihre Kompetenz im Bereich Logistikservices weiter auszubauen, nimmt sukzessive zu", sagt Peter Behner, Geschäftsführer von Booz Allen Hamilton.

Einige der befragten Pharmakonzerne sind schon in konkreten Vorbereitungen, ihre direkten Vertriebskanäle zu stärken. "Sicherlich sind Großhändler auch beim Wechsel zu DTP weiterhin bei den Lieferungen involviert. Allerdings ändert sich ihre Rolle im Vertriebsprozess grundlegend", sagt Booz Allen-Partner Behner. Das Produkteigentum gehe vom Hersteller direkt auf die Apotheke über, so Behner weiter. Dabei agiert der Großhandel in erster Linie als "Distributionsdienstleister". Dieser werde nach erbrachter Leistung und nicht mehr proportional zum bewegten Umsatzvolumen entlohnt. Vor allem, weil es absehbar zu mehr Rabattverträgen mit Krankenkassen kommt, denken Pharmaunternehmen darüber nach, verstärkt DTP einzuführen.

"Die Branche ist dabei, die Grundlagen für innovative Vertriebskonzepte zu legen, um den sich nicht nur in Deutschland verändernden Regulatorien begegnen zu können", sagt Isabella Erb-Herrmann, Mitglied der Geschäftsleitung von Booz Allen Hamilton. So ist DTP laut der Booz Allen-Untersuchung ein effektiver Vertriebskanal. Denn DTP unterstützt auch die Sicherheit der Patienten. Sofern Apotheken Produkte nur über diesen Kanal beziehen, verringert sich das Risiko, dass Arzneimittelfälschungen bis zur Apotheke gelangen. Das Umfeld für eine Apothekendirektbelieferung wird insbesondere vor dem Hintergrund des erwarteten Umbruchs in der deutschen Apothekenlandschaft positiv beeinflusst. "Wenn Apothekenketten ab voraussichtlich 2009 auch in Deutschland möglich sind, können Pharmaunternehmen einfacher flächendeckende Belieferungsverträge abschließen", sagt Booz Allen-Expertin Erb-Herrmann.

Weitere News aus dem Ressort Wirtschaft & Finanzen

Meistgelesene News

Weitere News von unseren anderen Portalen

So nah, da werden
selbst Moleküle rot...