Ordnungshilfe für Silizium

Stuttgarter Materialwissenschafter beherrschen die Kristallisationstemperatur von Silizium

11.04.2008 - Deutschland

Ordnungshilfen erleichtern das Leben: Der Halbleiterindustrie könnte Aluminium helfen, Silizium bei niedrigen Temperaturen von der ungeordneten in eine geordnete Form umzuwandeln. Dieses kristalline Silizium arbeitet etwa in Solarzellen deutlich effizienter. Es lässt sich bislang aber nur bei hohen Temperaturen herstellen und daher nicht auf hitzeempfindliche Materialien wie Kunststoff oder Papier auftragen. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Metallforschung in Stuttgart haben nun einen Weg gefunden, die Kristallisationstemperatur von Silizium gezielt zu senken - von 700 Grad Celsius bis auf 150 Grad Celsius und jede beliebige Temperatur dazwischen. Das gelang ihnen, indem sie eine dünne Aluminiumschicht auf dem ungeordneten Silizium aufbrachten; die Dicke der Schicht bestimmte dann die Kristallisationstemperatur. Die Forscher haben zudem erklärt, warum das so ist. Diese Erkenntnisse könnten dazu beitragen, Solarzellen und andere elektronische Bauteile auf billigen und flexiblen Materialien wie Glas, Kunststoff oder gar Papier herzustellen.

Max-Planck-Institut für Metallforschung

Ordnung im Spalt: Eine Aluminiumdeckschicht senkt die Kristallisationstemperatur von amorphem Silizium (a-Si). Zuerst benetzt das a-Si die Korngrenzen in der Aluminium-Deckschicht (Al). Oberhalb einer kritischen Dicke des benetzenden a-Si-Films wird an solchen Al-Korngrenzen die Kristallisation eingeleitet.

Silizium ist das Material der Wahl in der Halbleiterindustrie: Mal braucht sie es in kristalliner, mal in amorpher, sprich ungeordneter, Form. Und so vielfältig inzwischen die Einsatzgebiete von Chips und Solarzellen sind, so vielfältig sind die Materialien, die als Träger des Halbleiters dienen, und die Bedingungen, unter denen sie arbeiten müssen. Daher möchte die Industrie gezielt die Temperatur beeinflussen, bei der Silizium kristallisiert. Meist will sie die Temperatur senken, damit sie das Halbleitermaterial auch auf hitzeempfindlichen Stoffen kristallisieren lassen kann. Manchmal möchte sie aber auch verhindern, dass sich amorphes Silizium ungewollt in kristallines verwandelt.

Dass sich die Kristallisationstemperatur eines Halbleiters ändert, wenn es mit einem anderen Metall Kontakt hat, ist schon seit längerem bekannt. "Wir haben diesen Effekt jetzt aber erstmals ausgenutzt, um die Kristallisationstemperatur von Silizium mit einer kristallinen Aluminiumdeckschicht gezielt einzustellen", sagt Lars Jeurgens, einer der beteiligten Forscher der Abteilung von Eric J. Mittemeijer des Stuttgarter Max-Planck-Instituts für Metallforschung. Unter 200 Grad lässt sie sich demnach mit Schichten drücken, die dicker als 20 Nanometer sind. Bei geringeren Schichtdicken steigt die Temperatur stark an.

Die Kristallisationstemperatur konnten die Stuttgarter Wissenschaftler nur deshalb so genau kontrollieren, weil sie vorher aufgeklärt hatten, worauf der Effekt beruht und wie er sich theoretisch beschreiben lässt. Bekannt war, dass die Aluminiumschicht die Bindungen zwischen den ungeordneten Siliziumatomen schwächt. Es fällt diesen daher leichter sich in geordneter Form neu zu sortieren, was letztlich die Energie des Siliziumblockes senkt. Wenn keine Aluminiumschicht die Bindungen im amorphen Silizium lockert ist eine Temperatur von 700 Grad Celsius nötig, um sie aufzubrechen.

Wie weit die Dicke der Aluminiumschicht die Kristallisationstemperatur senkt, hängt von den energetischen Verhältnissen in dem System aus Siliziumblock und Aluminiumschicht ab. Als Maxime gilt: Gemacht wird alles, was Energie spart. Eine große Rolle spielen hierbei die Energien an der Grenzfläche zwischen Silizium und Aluminium: Um die Gesamtenergie des Systems zu senken, lagern sich die Silizium-Atome in einem ersten Schritt ungeordnet in die Aluminium Korngrenzen ein. Im ungeordneten Zustand passen sie sich nämlich besser an das Kristallgitter des Aluminiums an. Würden sie sich dort kristallin anordnen, träten an der Grenze zwischen den zwei unterschiedlichen starren Kristallgittern energieaufwändige Spannungen auf.

Obwohl es erst mal nicht so klingt, fördert das die Kristallisation des Siliziums - wenn auch nur indirekt. Sobald sich an der Aluminium Korngrenze nämlich eine dünne, ungeordnete Siliziumschicht angelagert hat, ergibt sich eine weitere Möglichkeit Energie zu sparen: Die Siliziumatome ordnen sich akkurat zum Kristall an. Das Verhältnis von Kristalisations- und Grenzflächenenergie ist hierbei entscheidend: Es bestimmt nämlich, bei welcher Temperatur die benetzende Siliziumschicht zu kristallisieren beginnt. Dieses empfindliche Gleichgewicht beeinflussen die Stuttgarter Forscher gezielt, indem sie die Dicke der Aluminiumschicht variieren.

Bei ihren Arbeiten haben sich die Forscher zunächst auf den Moment konzentriert, in dem die Kristallisation einsetzt. Was danach geschieht, ist noch nicht völlig geklärt. Während des Prozesses verdrängt kristallines Silizium jedenfalls allmählich die Aluminiumschicht. Die Aluminiumatome wandern durch das kristalline Silizium und sammeln sich am Boden des Siliziumblocks an. Warum sie das tun und was dabei genau passiert, wird jetzt von den Materialwissenschaftlern der Abteilung von Eric. S. Mittemeijer untersucht.

Originalveröffentlichungen: Zumin Wang, Jiang Y. Wang, Lars P. H. Jeurgens, and Eric J. Mittemeijer; "Tailoring the ultrathin Al-induced crystallization temperature of amorphous Si by application of interface thermodynamics"; Physical Review Letters 100 (2008), 125503.

Zumin Wang, Jiang Y. Wang, Lars P. H. Jeurgens, and Eric J. Mittemeijer; "Thermodynamics and mechanism of metal-induced crystallization in immiscible alloy systems: Experiments and calculations on Al/a-Ge and Al/a-Si bilayers"; Physical Review B 77 (2008), 045424.

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