Wissenschaftler verlassen den Elfenbeinturm

Forscher überwinden ihre Berührungsängste zu Massenmedien

11.07.2008

Ein gern gepflegtes Vorurteil der Wissenschaftskommunikation lautet: Forscher meiden Journalisten und sind - sollte es doch zu Medienkontakten kommen - von der Berichterstattung enttäuscht. Eine aktuelle Studie im Fachmagazin Science zeigt nun genau das Gegenteil: Weit über die Hälfte der befragten Forscher aus den fünf größten Wissenschaftsnationen beschreibt Kontakte mit Journalisten als überwiegend gut. Vier von zehn fanden öffentliche Berichterstattung sogar karriereförderlich. Die These vom "Elfenbeinturm der Wissenschaft" lässt sich damit nicht mehr halten.

"Aufräumen sollte man auch mit dem Vorurteil, dass sich deutsche Forscher generell schwerer mit dem Journalismus tun und weniger motiviert sind, öffentlich über ihre Forschung zu berichten als ihre Kollegen aus den USA", sagt der Leiter der Studie, Prof. Hans Peter Peters vom Forschungszentrum Jülich, einem Mitglied der Helmholtz Gemeinschaft. In allen untersuchten Ländern war die Zahl der Interaktionen mit den Medien ähnlich hoch. Über zwei Drittel der Forscher hatten in einem Zeitraum von drei Jahren Kontakt zu Medien. Auch ihre Erfahrungen waren in allen Ländern positiv. "Den Hauptgrund für die Ähnlichkeit dieses Musters sehen wir in der gesellschaftlichen Notwendigkeit einer öffentlichen Legitimation der Wissenschaft."

Für diesen Punkt spricht auch, dass Medienpräsenz und Leitungsfunktion deutlich zusammenhängen. "Zur Rolle eines leitenden Forschers gehört es inzwischen, zu Kontakten mit den Massenmedien bereit zu sein", erklärt Peters. Abzulesen ist dies an der deutlichen Korrelation der Zahl von Medienkontakten mit dem Innehaben von Führungspositionen. "Das heißt, es ist nicht ins Belieben der einzelnen Wissenschaftler gestellt, ob sie in Kontakte mit den Medien einwilligen", erklärt Peters. "In bestimmten Positionen und Situationen wird es von ihnen erwartet. Erst in zweiter Linie spielen auch persönliche Einstellungen eine Rolle."

Die nun veröffentlichte Studie ist die weltweit erste umfassende internationale Wissenschaftler-Befragung zu diesem Thema und wurde vom Forschungszentrum Jülich und Partnern aus Frankreich, Großbritannien, Japan und den USA durchgeführt. Die Stichprobe umfasst rund 1350 biomedizinische Forscher aus den fünf größten Wissenschaftsnationen, die in den Jahren 2002 bis 2004 mindestens zwei einschlägige Fachveröffentlichungen vorweisen konnten. Aus Gründen der Vergleichbarkeit wurden alle Befragten aus zwei klar definierten Forschungsbereichen ausgewählt, der Epidemiologie und der Stammzellenforschung.

Neben Wissenschaftlern des Forschungszentrums Jülich beteiligten sich an dieser Studie namhafte Forscher der University of Wisconsin, des University College London, des französischen Centre National de la Recherche Scientifique und der Kansai University Osaka. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierte die Studie im Rahmen der Förderinitiative "Wissen für Entscheidungsprozesse - Forschung zum Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft" (07 SPR 30).

Originalveröffentlichung: Science Vol. 321, p. 204, 11 July 2008

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