Giftmorde in Agatha Christies Romanen - Nicht Krimi, sondern chemisches Wörterbuch
Vorderer Orient und Giftmorde - diese zwei Merkmale ziehen sich wie ein roter Faden durch Agatha Christies literarisches Werk. Beide haben ihre Ursache im Privatleben der Autorin. Mit Anfang zwanzig arbeitete die künftige Schriftstellerin in einer Apotheke und eignete sich dort das Wissen über unheilvolle Substanzen an, das sie später in ihren Romanen verwertete. Der Bezug zum Vorderen Orient entstand durch ihren Ehemann Sir Max Mallowen, einem bekannten Archäologen, den Agatha Christie mehrmals auf seinen Forschungsreisen begleitete.
Dass Gift für die englische Krimiautorin mehr war, als ein zufällig ausgewähltes Mittel, um ihre Protagonisten aus dem Weg zu räumen, macht allein die Zahl der Bücher deutlich, in denen unterschiedliche Giftarten vorkommen. In insgesamt 41 Romanen spielen letalwirkende Stoffe eine entscheidende Rolle. Chlor, Arsen, Nikotin, Morphin, Thallium, Strychnin, Salz-, Blau- und Oxalsäure - die Liste der von ihr beschriebenen Substanzen liest sich wie ein chemisches Wörterbuch. Die Vielfalt der Chemikalien geht nicht zu Lasten einer erstaunlichen Präzision bei der Beschreibung ihrer Wirkungen, wie Prof. Dr. Schneider und Dr. Rießelmann eindrucksvoll belegen. In ihrer Studie stellen sie aus zuvor zehn ausgewählten Giften zwei - nämlich Nikotin und Thallium - ausführlich vor und überprüfen die von Christie beschriebene Wirkung auf ihren Wahrheitsgehalt. Dabei ist die Auswahl der Substanzen keinesfalls zufällig: Die Aufklärung eines mit Hilfe von Nikotin verübten Mordes im Jahr 1850 gilt unter Fachleuten als Geburtsstunde moderner forensischer Toxikologie. Zum ersten Mal konnte damals ein biologisches Gift posthum wissenschaftlich nachgewiesen und der Mörder durch die Rechtsmedizin überführt werden.
Thallium hingegen sorgte erst knappe fünfzig Jahre später für Schlagzeilen. 1897 wurde mit dem in der Erdkruste nur in geringen Mengen verbreiteten Metall ein Mord begangen - gerade einmal ein Jahr, nachdem es zum ersten Mal isoliert worden war. Beide Fälle waren Agatha Christie wohl bekannt, zumindest brauchte sie - im Gegensatz zu den britischen Ärzten - nicht die Hilfe eines Giftmörders, um die Wirkung und Symptomatik der von ihr gewählten Substanzen zu beschreiben.
Für Dr. Rießelmann ist die genaue Darstellung der Giftwirkung, die zwar literarisch umschrieben, ansonsten jedoch fast Lehrbuchniveau erreicht, ein Grund, die Romane nicht nur als Unterhaltungsliteratur zu betrachten. Ein weiterer Grund ist die hervorragende Darstellung der häufigen Fehleinschätzungen, vor denen selbst Spezialisten nicht gefeilt sind. Dabei verweist Dr. Rießelmann auf den Roman "Das fahle Pferd", in dem die Thallium-Vergiftung von einem Arzt nicht erkannt und fehldiagnostiziert wird. In der Tat sind die äußeren Merkmale kaum von einer Grippe zu unterscheiden. Brechreiz und Durchfall sowie im späteren Verlauf Muskelschmerzen und Schlafstörungen lassen keinen Verdacht zu. Erst in der späteren Phase einsetzender Haarausfall und Streifen auf den Fingernägeln könnten auf eine andere Erkrankung schließen lassen - doch dann ist es bereits zu spät.
Schneider und Rießelmann gelangen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass Agatha Christie profunde Kenntnisse über unterschiedlichste Gifte besaß und dass sie die Vergiftungssymptome und Wirkungen medizinisch einwandfrei beschrieb. Ihre Bücher halten somit nicht nur für Laien viel Wissenswertes bereit.
Die Ergebnisse der Studie werden von der Gesellschaft für toxikologische und forensische Chemie im Verlag Dr. Dieter Helm veröffentlicht. Die Publikation befindet sich im Druck.
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