MPG: Fast jeder zweite Patient leidet unter Schlafstörungen

Weltweit größte Schlafforschungsstudie an rund 20.000 Patienten

02.02.2001

In der allgemeinärztlichen Versorgung gibt es offenbar eine bedenkliche Dunkelziffer nicht erkannter und unbehandelter Schlafstörungen. Dies ist das Hauptergebnis der weltweit größten Schlafforschungsstudie (NISAS = Nationwide Insomnia Screening and Awareness Study), die in Kooperation zwischen dem Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München und der Technischen Universität Dresden vorgenommen wurde. Am Studientag, dem 11. Juli 2000, wurden rund 20.000 Patienten in 539 deutschen Allgemeinarztpraxen untersucht. Das Resultat: 42 Prozent der Patienten litten an Schlafstörungen - aber die Ärzte erkannten diese Problematik nur bei jedem Dritten.

Fast jeder zweite Patient leidet unter Schlafproblemen. Insomnien, also Einschlafstörungen (21 Prozent) oder Durchschlafstörungen (27 Prozent), treten der Studie zufolge häufiger auf als andere Probleme wie Tages-Schläfrigkeit (15 Prozent), Schlafattacken (8 Prozent) sowie Schnarchen und/oder nächtliche Atemstillstände (7 Prozent). 26,7 Prozent aller Allgemeinarztpatienten erfüllten die im Diagnostic and Statistical Manual (DSM-IV) festgelegten Kriterien einer Insomnie.

Entgegen früherer Lehrmeinung sind Insomnien in der Mehrzahl ernst zu nehmende und vor allem langwierige Erkrankungen. Mehr als 70 Prozent aller Patienten litten am Studientag seit mehr als einem Jahr unter Schlafbeschwerden, 40 Prozent fast jede Nacht. Der Anteil an jungen Patienten ist überraschend hoch - zum Beispiel sind ein Viertel der 16- bis 19-Jährigen betroffen.

Studienleiter Prof. Hans-Ulrich Wittchen, der die Daten auf einer Pressekonferenz des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München vorstellte, sieht in NISAS eine wichtige wissenschaftliche Datenbasis für weitere Aufklärungs- und Fortbildungsprojekte. "Die Mediziner nehmen zwar Klagen über Schlafstörungen durchaus ernst, unterschätzen aber erheblich deren Häufigkeit", sagte Wittchen, bis April vergangenen Jahres Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Psychologie und Epidemiologie am Münchner Max-Planck-Institut und jetzt Direktor des Instituts für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der TU Dresden. Darüber hinaus hätten die Ärzte Probleme bei der Differenzialdiagnostik. Umgekehrt erschwerten die Patienten die Diagnose, weil sie häufig nicht spontan über ihre Beschwerden berichten.

Schlaf-Patienten werden von den befragten Ärzten überwiegend selbst behandelt, obwohl dies für eine deutliche Mehrheit eine zeitaufwändige Beschäftigung mit dem Patienten bedeutet. Dies wiegt umso schwerer, als die Mediziner ihre eigene diagnostische und therapeutische Kompetenz eher kritisch einschätzen; die Hälfte der Ärzte fühlt sich gar überfordert. Bei der Behandlung ist die Pharmakotherapie am beliebtesten - im Gegensatz zu psychotherapeutischen Maßnahmen. Am häufigsten werden pflanzliche Arzneien (Phytopharmaka) verschrieben, ihr Anteil beträgt rund 50 Prozent. Etwa ebenso viele Patienten erhalten ein ausführliches Beratungsgespräch.

Interessanterweise differenzieren die Ärzte wenig zwischen den herkömmlichen Sedativa der Benzodiazepin-Familie - die sie bei 23 Prozent der Fälle verordnen - und den moderneren Hypnotika (sie werden in 17 Prozent der Fälle eingesetzt). Die Verschreibungsdauer beträgt überwiegend zwei bis vier Wochen, jedoch verschreiben immerhin 13 Prozent der Ärzte "häufig" Langzeittherapien mit Sedativa über mehr als vier Wochen - trotz des bekannten Abhängigkeitspotenzials dieser Substanzen.

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