Plastiktüten, die keine Luft kriegen
Optimierte Enzymvariante kann Plastik in anaerober Umgebung abbauen
Felmi Graz
Die wenigsten wissen es, wir alle tun es. Aber: Bioplastiktüten haben im Biomüll eigentlich nichts zu suchen. Laut DIN EN 13432 Norm schließt Bioabbaubarkeit mit ein, dass sich ein Material nach einer festgeschriebenen Zeit unter definierten Temperatur-, Sauerstoff- und Feuchtebedingungen in der Anwesenheit von Bakterien oder Pilzen zu mehr als 90 Prozent zu Wasser, CO2 und Biomasse abgebaut haben muss. Neuerdings landet ein Teil des Biomülls und mit ihm entsorgte Plastiktüten in Biogasanlagen, wo anaerobe Bedingungen (der Ausschluss von Sauerstoff) zu einer Bildung von Biogas als wertvoller Energieträger führen. "Unter diesen Bedingungen können aus bestimmten Polymerarten gefertigte Sackerln nur langsam abgebaut werden. Sie setzen den Biomüll nicht frei und stören den Prozess erheblich", weiß Doris Ribitsch, Forscherin am Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib). Gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe am Standort Tulln geht sie als erste der Frage nach, ob der Abbau von als bioabbaubar bezeichnetem Plastik – aus dem etwa handelsübliche Biomüllplastiktüten, Essensverpackungen oder Mulchfolien hergestellt sind – auch in Vergärungsanlagen funktioniert.
Botox im Bioschlamm
Im Vorfeld führten die Forscher In-silico-Recherchen durch. Tausende Einträge einer Enzym-Datenbank wurden durchgesehen, um bestimmte Bakterien zu identifizieren, die spezifische Enzyme zum Plastikabbau produzieren", so Ribitsch. Nach einigen Jahren war es soweit: "Das Bakterium Clostridium botulinum, dessen Proteine auch in Botox enthalten sind, erfüllt sämtliche Voraussetzungen. Es ist sogar in geringen Mengen im Biogas-Schlamm vorhanden", verrät die Biotechnologin. Damit die Enzyme von Bakterien jedoch großflächig und noch dazu in anaerober Umgebung Plastik abbauen können, ist ein hoher Engineering-Aufwand nötig. In Kooperation mit der ETH Zürich stellte das acib eine optimierte Enzymvariante her, die folglich in eine Biogasversuchsanlage eingebracht wurde. Da bisher keine Informationen zur Verfügung standen, wie Enzyme aus diesen anaeroben Mikroorganismen "arbeiten", wurde ebenso eine Methode geschaffen, mit der sich der Abbauvorgang von Polymeren messen lässt. Erste Versuche waren vielversprechend: Die im Labor optimierten Enzyme verteilen sich auf der Polymerschicht und kurbeln den Zersetzungsvorgang an. "Wie eine große Schere zerschneiden die Enzyme die langen Polymerketten in immer kürzere Bausteine, bis nur noch Monomere – die kleinsten molekularen Einzelbestandteile – übrig sind, die in weiterer Folge von Mikroorganismen metabolisiert werden können. Das Ergebnis: Das Plastiksackerl ist zur Gänze aufgelöst und wird zusammen mit dem enthaltenen Biomüll in wertvolles Biogas umgewandelt", erläutert Ribitsch. Bedenkt man, dass etwa zwölf Prozent des weltweit produzierten Plastikmülls ( ca. 45 Mio. Tonnen jährlich) verbrannt werden, könnte der neue Prozess eine Wende im permanenten Abbau von Plastik einleiten. Ein weiterführendes Projekt mit einem Industriepartner steht in den Startlöchern. Zwei Patente wurden bereits angemeldet.
Plastik aus nachwachsenden Quellen
Die neue Methode stellt jedoch lediglich einen Zwischenschritt auf dem umweltbewussten Weg zu einem plastikfreieren Alltag dar: "Solange sich biologisch abbaubare Kunststoffe nicht vernünftig recyceln lassen und einer Wiederverwendung zugeführt werden, ist es immer noch am sinnvollsten, sie zusammen mit biogenen Abfällen in Biogasanlagen einzubringen. Dort kann die freiwerdende Energie zur Erzeugung von Strom, Wärme oder Biomethan herangezogen werden", sagt die Forscherin. Langfristig sollen die Projektergebnisse dazu beitragen, herkömmliche Verpackungen durch biobasierte Polymere (aus nachwachsenden Rohstoffen) zu ersetzen, die sich in wenigen Tagen selbst auflösen. Der Kohlenstoffkreislauf schlösse sich dadurch, Plastikmüll würde vermieden. Wer sich nun sorgt, dass sich solche Plastiksackerl am Weg vom Einkaufszentrum nach Hause auflösen, sei beruhigt: "Dazu braucht es immer noch die Bedingungen eines Komposthaufens oder einer Biogasanlage", so Ribitsch. Der Einkauf bleibt also intakt. Und, so der Gedanke, die Umwelt ebenso.
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