Stabile Biradikale machen die Chemie um eine Attraktion reicher

Bor-Biradikal im elektronischen Grundzustand synthetisiert

26.03.2018 - Deutschland

Forscher der Universität Würzburg haben Moleküle so stark gedreht, dass deren Doppelbindungen komplett zerstört wurden. Das Ergebnis: außergewöhnlich stabile Biradikale.

Dr. Rian Dewhurst

Eine gewöhnliche Bor-Bor-Doppelbindung (links) und ihre biradikalen Verwandte, die extrem stabil ist.

Damit weiße Wäsche weiß bleibt, wird einigen Bleichmitteln Bor zugesetzt. In hitzebeständigen Gläsern und Keramiken kann es ebenfalls enthalten sein. Auch die Chemiker der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) arbeiten mit Bor; sie erforschen seit Jahren die Grundlagen dieses Elements. Jetzt ist es ihnen gelungen, Moleküle mit Mehrfachbindungen zwischen Bor-Atomen zu verdrehen und dabei einige sehr stabile Biradikale zu erzeugen.

Biradikale sind normalerweise extrem reaktive Moleküle. Sie entstehen zum Beispiel in Verbrennungsprozessen und sind derart kurzlebig, dass sie für chemische Analysen kaum oder gar nicht zu fassen sind.

Anders sieht es bei den Biradikalen aus, die jetzt an der JMU synthetisiert wurden: Sie liegen als Feststoffe vor und bleiben über viele Wochen hinweg stabil. „Damit haben wir Modellsubstanzen an der Hand, die wir in Ruhe charakterisieren können“, sagt Professor Holger Braunschweig vom Institut für Anorganische Chemie.

Bor-Bor-Doppelbindung in sich verdreht

Chemiker versuchen seit langem, Doppelbindungen zwischen Atomen zu verdrehen, zu verzerren und zu zerreißen – dabei hatten sie nur teilweise Erfolg. Der Traum, eine Doppelbindung um 90 Grad drehen zu können, wurde in den Chemielabors der JMU nun erstmals Wirklichkeit.

Von ihren Versuchen hatten die Würzburger Forscher Diborene erwartet: Die entstehenden Moleküle sollten zwei durch Doppelbindungen verknüpfte Bor-Atome enthalten, wie das gewöhnlich der Fall ist. Heraus kamen aber Moleküle, bei denen die Doppelbindungen zwischen den Bor-Atomen um 90 Grad in sich verdreht und dadurch aufgebrochen sind.

Biradikale im elektronischen Grundzustand

Das Ergebnis sind Biradikale, die extrem stabil sind. Das ist ungewöhnlich: „Immer wenn ein Molekül gegen seinen Willen gedreht wird, wird es normalerweise instabiler, aber auch reaktiver“, sagt Julian Böhnke, Doktorand an der JMU und Erstautor der Publikation in Nature Communications. „Die Stabilität kommt daher, dass sich unsere Biradikale in ihrem elektronischen Grundzustand befinden, obwohl sie zwei ungepaarte Elektronen besitzen“, erklärt Braunschweig. „Diese Struktur hatten wir nicht erwartet.“

Einsatzmöglichkeiten für die Moleküle seien derzeit noch nicht in Sicht, so Braunschweig. Möglicherweise lassen sie sich einmal in Polymere einbauen, dann seien Anwendungen in der organischen Elektronik denkbar. „Das ist aber absolute Zukunftsmusik“, wie der Professor betont. Als nächstes wollen die JMU-Chemiker prüfen, ob sich ähnlich stabile Biradikale synthetisieren lassen, die Doppelbindungen zwischen Bor und Kohlenstoff enthalten.

Erfolg des Graduiertenkollegs 2112

Diese Studien gestalteten sich aufwändig und umfangreich. 16 Forschende waren gut drei Jahre lang damit befasst; Julian Böhnke schreibt seine Doktorarbeit über das Thema – er ist im Rahmen des Graduiertenkollegs 2112 (Molecular Biradicals: Structure, Properties and Reactivity) tätig. Sprecher des Kollegs ist Professor Ingo Fischer. Im Graduiertenkolleg können Doktoranden strukturiert in einem Team die physikalischen und chemischen Eigenschaften von Biradikalen erforschen.

Die Zusammenarbeit mit theoretisch ausgerichteten Chemie-Arbeitsgruppen im Graduiertenkolleg war wesentlich für das Gelingen der Studie. Unter anderen wirkten die Teams der Professoren Bernd Engels und Roland Mitrić mit. Sie halfen dabei, die Bindungsverhältnisse in den neu synthetisierten Biradikalen zu erfassen. Auch andere deutsche Gruppen waren beteiligt.

Finanziell gefördert wurden die Arbeiten im Rahmen des Graduiertenkollegs 2112 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Weitere finanzielle Mittel stammen aus dem ERC-Grant, den der Europäische Forschungsrat Professor Braunschweig bewilligt hat.

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