Rasante Paarbildung: Nachweis eines neuen Reaktionsweges in der Atmosphäre
Tilo Arnhold, TROPOS
Den neuen Erkenntnissen wird große Bedeutung zum besseren Verständnis der Abbauwege von Kohlenwasserstoffen in der Atmosphäre zugeschrieben. Die rasch gebildeten Aufbauprodukte sind meist sehr schwerflüchtig und sind Vorläufer für das sekundäre organische Aerosol, welches bedeutend für das Klima der Erde ist.
Kohlenwasserstoffe gelten als Bausteine des Lebens, die durch die Kombination der Elemente Kohlenstoff und Wasserstoff Millionen verschiedener chemischer Verbindungen ermöglichen. Zu diesen „organischen Verbindungen“ gehören neben Methan auch eine Vielzahl anderer Gase, die eine wichtige Rolle in der Atmosphäre spielen. So werden die weltweiten Emissionen dieser Nichtmethan-Kohlenwasserstoffe aus der Vegetation und durch menschliche Aktivitäten auf etwa 1,3 Milliarden Tonnen pro Jahr geschätzt. Entsprechend wichtig ist es, deren Abbauprozesse und die dabei entstehenden Produkte zu kennen.
Der atmosphärische Abbau wird durch Oxidationsmittel, wie Ozon oder OH-Radikale (das „Waschmittel der Atmosphäre“) eingeleitet, wobei fast ausschließlich Peroxyl-Radikale als sehr reaktionsfreudige Zwischenprodukte entstehen, die beispielsweise mit Stickstoffmonoxid (NO) oder mit anderen Peroxyl-Radikalen schnell weiterreagieren. Bisher wurde angenommen, dass die Bildung von Aufbauprodukten aus der Reaktion zweier Peroxyl-Radikale unbedeutend sei, was auf Befunde aus den 1960ger und -70ger Jahren zurückgeht. Die neuen experimentellen Untersuchungen gekoppelt mit den dazu notwendigen kinetischen Messungen lassen nun den Schluss zu, dass die Bildung der schwerflüchtigeren Aufbauprodukte unter allen Bedingungen in der Atmosphäre bedeutend ist. „Es ist faszinierend, die Bildung der Peroxyl-Radikale und deren Reaktionsprodukte online im Massenspektrometer verfolgen zu können. Das erlaubt uns einen direkten Einblick in die elementaren Vorgänge während einer chemischen Reaktion“, berichtet Dr. Torsten Berndt vom TROPOS.
Der Nachweis dieses Prozesses gelang dem Team bei Laborexperimenten mittels einer speziellen Strömungsapparatur am TROPOS in Leipzig, welche störungsfreie Untersuchungen von Gasphasenreaktionen bei Atmosphärendruck zulässt. Zum Einsatz kamen dabei erstmals neue massenspektrometrische Techniken, die in Innsbruck und Leipzig entwickelt wurden. Bei der massenspektrometrischen Analyse wird die nachzuweisende Verbindung ionisiert und dann über das Verhältnis Masse-zu-Ladung identifiziert. Die verwendeten sanften Ionisierungsmethoden gestatten den sensitiven Nachweis von Peroxyl-Radikalen und deren Reaktionsprodukten mit einer Nachweisgrenze von bis zu 1 ppqV. Mit der Technik ist es also möglich, ein spezielles Molekül in einem Gemisch von einer Billiarde (1015) Molekülen zuverlässig zu ermitteln.
Der Nachweis dieses neuen Reaktionsweges in der Atmosphäre hat große Bedeutung für die Klimaforschung, da er ein weiteres Puzzlestück auf der Suche nach bisher noch nicht ausreichend verstandenen Quellen für die Bildung des sekundären organischen Aerosols und der nachfolgenden Wolkenbildung darstellt. Bisher sind Wolken immer noch die große Unbekannte im Klimasystem. Selbst der jüngste Report des Weltklimarates IPCC sieht in den Wolken den größten Unsicherheitsfaktor in den Klimaszenarien der Zukunft. Die neuen Erkenntnisse können helfen, den Anteil der Vegetation und damit von verschiedenen Landnutzungsformen auf das Klima genauer zu abzuschätzen.
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