Von der Quantenebene zur Autobatterie: Das virtuelle Materialdesign der Zukunft

Optimierte Materialien deutlich schneller entwickeln

05.04.2018 - Deutschland

Neue Entwicklungen brauchen neue Materialien. Diese wurden bisher meist durch langwierige Versuche im Labor entwickelt. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen SCAI in Sankt Augustin kürzen diesen zeit- und kostenintensiven Prozess mit ihrem »Virtual Material Design«-Ansatz und der speziell entwickelten Software Tremolo-X nun deutlich ab. Durch die Kombination von Multiskalenmodellen, Datenanalyse und maschinellem Lernen ist es möglich, optimierte Materialien deutlich schneller zu entwickeln.

© Fraunhofer SCAI

Bornitrid-Nanoröhrchen in einer Siliziumoxidmatrix. Darstellung von verstärktem Nanomaterial mit der Fraunhofer-Software.

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Auch winzige Objekte lassen sich detailiert abbilden: Hier das atomistische Modell des Tabakmosaikvirus. Das röhrenförmige Virus ist ca. 300 nm lang und 18 nm im Durchmesser.

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In nahezu jeder Branche werden für neue Entwicklungen neue Materialien benötigt. Beispiel Automobilindustrie: Bestand ein Automobil früher nur aus einer Handvoll Materialien, werden moderne Autos aus tausenden unterschiedlichen Materialien zusammengebaut – und der Bedarf steigt. Ob es darum geht, ein Auto leichter zu machen, bessere Verbrauchswerte zu erzielen oder ob es um die Entwicklung von Batterien für Elektromotoren geht: Für jede neue Entwicklung muss das Material gefunden oder entwickelt werden, das genau die richtigen Eigenschaften hat. Doch die Suche nach dem richtigen Material ging bisher oft wie ein Ratespiel vonstatten. So wurden und werden die Kandidaten meist aus riesigen Werkstoffdatenbanken ausgesucht und getestet. Diese Datenbanken geben zwar Aufschluss über bestimmte Leistungseigenschaften, gehen aber meist nicht genug in die Tiefe, um aussagekräftige Urteile darüber zu erlauben, ob ein Material genau die gesuchten Eigenschaften hat. Um das herauszufinden, müssen zahlreiche Labortests durchgeführt werden. Die Wissenschaftler des Fraunhofer SCAI haben einen anderen Ansatz gewählt. Die Anforderungen an den Werkstoff werden bis zur inneren Struktur des Materials, also bis auf die atomare Ebene hinabgebrochen. Eine speziell entwickelte Software, Tremolo-X, berechnet dann, wie sich die Teilchen des Materials verhalten, wenn bestimmte physikalische Effekte auf sie einwirken. So kann darauf geschlossen werden, ob sich auf Basis dieser Teilchen ein Werkstoff mit den gewünschten Eigenschaften entwickeln lässt.

Virtuelle Vorhersagemodelle und atomistische Simulationen

»Unser Ziel ist es, die Suche nach dem passenden Werkstoff abzukürzen. Oft dauert dieser Prozess zehn bis zwanzig Jahre, was nicht nur zeit- sondern auch kostenintensiv ist,« sagt Dr. Jan Hamaekers vom Fraunhofer SCAI. »Die Idee ist, über virtuelle Prozesse die Anzahl der Kandidaten auszusieben, bis nur noch einige wenige übrig sind, die dann im Labor getestet werden.« Dafür müssen zunächst die Anforderungen an das Material definiert werden. Beispielsweise wie schnell ein Werkstoff abkühlen muss oder welchen Belastungen er standhalten muss. Dies wird im Computer mit der Fraunhofer-Software auf zwei verschiedene Weisen simuliert: Auf atomarer- oder sogar auf Quantenebene werden virtuelle Teilchen simuliert. Wie verhalten sie sich? Wie reagieren die Teilchen untereinander? Die andere Methode leitet aus vorhandenen Daten und Kenntnissen Vorhersagemodelle ab, die es ermöglichen, die Eigenschaften eines Materials vorauszusagen. »Ziel ist es, neue innovative Materialien und Moleküle mit effektiven Eigenschaften im virtuellen Computerlabor zu optimieren, zu kreieren und zu erforschen, um deren Struktur und Design vor der eigentlichen Synthese vorzuschlagen,« erklärt Hamaekers.

Multiskalen-Modellierung: Vom Atom zur Prozesskette

Deutlich wird das Vorgehen bei der Multiskalen-Modellierung, wie sie unter anderem in der chemischen Industrie zum Einsatz kommt. Hier wird zunächst auf Quantenebene die Chemie des Materials beschrieben. Diese Informationen werden auf immer gröbere Modelle übertragen, die Moleküle und deren physikalische Eigenschaften abbilden. »Will man zum Beispiel bei einer Lithium-Ionen-Batterie vorhersagen, wie gut das Elektrolyt ist bzw. wie schnell die Ionen diffundieren, simulieren wir zunächst die Teilchen auf der Quantenebene und sehen, was da für Reaktionen ablaufen. Dann gehen wir mit diesen Informationen auf die nächste Ebene und erhalten Aufschluss über die Dynamik, also wie sich die Partikel auf atomarer Ebene bewegen. Von hier können wir dann noch eine Skala nach oben gehen und uns anschauen, wie sich das Elektrolyt in der makroskopischen Welt verhält. So erhalten wir präzise Einblicke in alle Abläufe und können falls nötig Prozesse anpassen oder verändern,« verdeutlicht Hamaekers. Auf diese Weise können nicht nur neue Materialien entwickelt oder passende Materialien für bestimmte Anwendungen gefunden werden. Auch Prozesse lassen sich überprüfen und optimieren. Denn durch die Simulation der Prozessabläufe auf atomarer oder molekularer Ebene in einem virtuellen Reaktor lassen sich exakt die Stellen oder Parameter identifizieren, die optimiert werden können.

Auf der Hannover Messe 2018 zeigt das Fraunhofer SCAI anhand anschaulicher Beispiele, wie das Design von Materialien durch Modellierung, Datenanalyse und maschinelles Lernen optimiert werden kann.

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