Wenn Atomkerne so schnell sind wie Elektronen

18.04.2018 - Schweiz

In einer Attosekundenstudie des H2 -Moleküls haben Physikerinnen und Physiker an der ETH gezeigt, dass für leichte Atomkerne — wie sie in den meisten organischen und biologischen Molekülen enthalten sind — die Korrelation zwischen Elektronen- und Kernbewegungen nicht ignoriert werden kann.

Ultrafast Laser Physics group, ETH Zurich

In der AttoCOLTRIMS-Apparatur kann die dreidimensionale Bewegung von Elektronen (blauer elliptischer Pfeil) und Ionen (H2+ und H+, graue Pfeile) in Koinzidenz detektiert werden. Die Kombination eines extrem-ultravioletten (EUV, blau) und eines langen und eher schwachen Infrarotpulses (IR, rot) in einem Pump–Probe-Aufbau liefert die Grundlage für die Untersuchung der Attosekundendynamik des H2-Moleküls.

Die Dynamik quantenmechanischer Systeme auf ihrer natürlichen Zeitskala zu verstehen ist das Hauptziel der Attosekundenforschung. Zu den interessantesten Systemen für solche Experimente gehören Moleküle; diese sind insbesondere im Vergleich mit atomaren Systemen äusserst komplex. Bisher haben ein paar wenige Attosekundenexperimente an Molekülen wertvolle Einblicke in die Elektronendynamik geliefert. In diesen Studien wurde jedoch angenommen, dass die Dynamik der Kerne, um die sich die Elektronen bewegen, "eingefroren" ist, da Kerne viel schwerer sind als Elektronen und sich daher langsamer bewegen. Aber selbst auf der Attosekundenzeitskala ist die Approximation, dass elektronische und nukleare Bewegung voneinander entkoppelt sind, oft nicht gerechtfertigt. Insbesondere in Molekülen, die aus leichten Atomspezies bestehen, kann die Kernbewegung so schnell sein wie die Elektronendynamik, was zu einer starken Kopplung zwischen den beiden führt.

Ein Team rund um Dr. Laura Cattaneo und Prof. Ursula Keller am Institut für Quantenelektronik der ETH Zürich hat nun das leichteste und kleinste aller Moleküle, H2, untersucht und erkundet, was passiert, wenn nukleare und elektronische Bewegungen auf einer vergleichbaren Zeitskala ablaufen. Wie sie berichten, fanden sie, dass in Molekülen die Ionisationsverzögerung — die Zeit zwischen der Absorption eines Photons und der Emission eines Elektrons während der Photoionisation — wesentlich von der kinetischen Energie sowohl des Photoelektrons wie auch des Atomkerns abhängt. Dieses Resultat erweitert das Konzept der Ionisationsverzögerungen für atomare Systeme. Variationen in der Ionisationsverzögerung in Abhängigkeit der kinetischen Energie der Kerne können so gross sein wie Variationen in Abhängigkeit der elektronischen kinetischen Energie. Dies impliziert, dass, wann immer leichte Atome in molekularen Ionisationsprozessen involviert sind, das ausgehende Elektronenwellenpaket nicht unabhängig vom Kernwellenpaket betachtet werden kann.

Diese Messungen auf der Attosekundenzeitskala basieren auf einem experimentellen Ansatz, der ebenfalls in der Keller-Gruppe entwickelt wurde. In der sogenannten AttoCOLTRIMS-Apparatur wird Attosekundenmetrologie mit der Abbildungstechnik COLTRIMS kombiniert; letzte ermöglicht es, die korrelierten Eigenschaften der Fragmente einer molekularen Reaktion aufzuzeichnen. Die experimentellen Ergebnisse wurde mit Erkenntnissen kombiniert, die mittels einer nahezu exakten Ab-initio-Theorie gewonnen wurden, um sowohl elektronische als auch nukleare Bewegungen sowie die Kopplung zwischen den beiden zu beschreiben. Die theoretischen Resultate haben Forscher an der Universidad Autónoma de Madrid (Spanien) beigetragen.

Die Bedeutung dieser Arbeit geht weit über das einfache H2-Molekül hinaus. Wasserstoffatome finden sich in den meisten organischen und biologisch relevanten Molekülen. Das Verständnis der Effekte und Beiträge der gekoppelten Elektronen- und Kerndynamik in solchen Systemen sollte daher grundlegende Erkenntnisse liefern, die in verschiedensten Forschungsbereichen von Bedeutung sein können.

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