Der photoelektrische Effekt in Stereo
ETH Zürich
Wenn ein Photon auf ein Material trifft, dann kann es, sofern es genügend Energie hat, aus diesem ein Elektron herauslösen. Die theoretische Erklärung dieses Phänomens, das als photoelektrischer Effekt bekannt ist, fand Albert Einstein in seinem «Wunderjahr» 1905 in Bern. Er leistete damit einen entscheidenden Beitrag zur gerade entstehenden Quantenmechanik, für den er 1921 den Physik-Nobelpreis erhielt.
Ein internationales Forschungsteam von Physikerinnen um Ursula Keller vom Institut für Quantenelektronik der ETH Zürich hat nun der experimentellen Erforschung dieses wichtigen Effekts eine neue Dimension hinzugefügt. Mit Hilfe von Attosekunden-Laserpulsen gelang es ihnen, einen winzigen zeitlichen Unterschied in der Herauslösung des Elektrons aus einem Molekül zu messen, je nachdem, wo sich das Elektron innerhalb des Moleküls befand.
Komplexe Vorgänge in Molekülen
«In Atomen studiert man schon seit Längerem, wie der photoelektrische Effekt zeitlich abläuft», sagt Doktorandin Jannie Vos, «aber über Moleküle gibt es bisher nur einige wenige Arbeiten.» Das liegt vor allem daran, dass Moleküle deutlich komplexer sind als einzelne Atome. Bei einem Atom wird das äusserste Elektron, das um den Atomkern kreist, von einem Lichtteilchen praktisch aus seiner Umlaufbahn katapultiert. In einem Molekül dagegen teilen sich zwei oder mehr Atomkerne dasselbe Elektron. Wo es sich aufhält, hängt vom Zusammenspiel der verschiedenen Anziehungspotenziale ab. Wie genau der photoelektrische Effekt unter solchen Bedingungen vor sich geht, konnte erst jetzt genau untersucht werden.
Wigner-Zeitverzögerung in Stereo
Keller und ihre Mitarbeiterinnen benutzten dazu Kohlenstoffmonoxid-Moleküle, die aus zwei Atomen – einem Kohlenstoff- und einem Sauerstoffatom – bestehen. Diese Moleküle wurden einem extremen ultravioletten Laserpuls ausgesetzt, der nur wenige Attosekunden dauerte. (Eine Attosekunde ist der milliardste Teil einer Milliardstel Sekunde.) Die Energie der Ultraviolett-Photonen löste dabei ein Elektron aus den Molekülen, und diese zerfielen anschliessend in ihre Einzelatome. Eines davon war jeweils danach als Ion positiv geladen. Mit einem Spezialinstrument massen die Forscherinnen dann, in welche Richtungen die Elektronen und Ionen wegflogen. Mithilfe eines zweiten Laserpulses, der als eine Art Messlatte fungierte, konnten sie ausserdem den genauen Zeitpunkt bestimmen, an dem das Elektron aus dem Molekül heraustrat.
«Auf diese Weise ist es uns erstmals gelungen, die sogenannten Stereo-Wigner-Zeitverzögerung zu bestimmen», erklärt Laura Cattaneo, die als Postdoktorandin in Kellers Gruppe arbeitet. Die Stereo-Wigner Zeitverzögerung gibt an, um wieviel früher oder später ein Elektron das Molekül verlässt, wenn es sich zum Zeitpunkt der Photoionisation in der Nähe des Sauerstoffatoms oder aber des Kohlenstoffatoms befindet. Die extrem kurzen Laserpulse machen es möglich, diesen Zeitpunkt bis auf wenige Attosekunden genau zu messen. Daraus wiederum lässt sich bis auf ein Zehntel Nanometer der Ort der Ionisierung innerhalb des Moleküls bestimmen. Die experimentellen Ergebnisse stimmen gut mit theoretischen Vorhersagen überein, die beschreiben, wo sich ein Elektron im Moment der Photoionisation am wahrscheinlichsten aufhält.
Neue Erkenntnisse mit grösseren Molekülen
Als Nächstes wollen die ETH-Forscherinnen grössere Moleküle unter die Lupe nehmen, in einem ersten Schritt das Lachgas N2O. Das zusätzliche Atom in diesem Molekül macht die theoretische Beschreibung bereits deutlich schwieriger, doch gleichzeitig versprechen sich die Physikerinnen von solchen Untersuchungen auch neue Erkenntnisse etwa über die so genannte Ladungsmigration innerhalb von Molekülen, die bei chemischen Prozessen eine wichtige Rolle spielt.
Im Prinzip sollte es sogar möglich sein, mit Hilfe von Attosekunden-Laserpulsen diese Prozesse nicht nur zu untersuchen, sondern auch gezielt zu steuern und damit chemische Reaktionen im Detail zu kontrollieren. Solche Atto-Chemie ist allerdings momentan noch Zukunftsmusik, wie Jannie Vos betont: «In der Theorie ist das alles sehr spannend, aber davon sind wir noch weit entfernt.»
Neben den Forschenden der ETH Zürich waren Wisssenschaftler des Max-Born-Instituts in Berlin, des Max-Planck-Instituts für Physik komplexer Systeme in Dresden und der Australian National University in Canberra an dieser Arbeit beteiligt. Finanziert wurde das Projekt unter anderem über einen ERC Advanced Grant an Ursula Keller.