Was passiert, wenn das Atomgitter eines Magneten erhitzt wird?
Neue Erkenntnisse zu ultraschnellen Prozessen in magnetischen Systemen
Sebastian Mährlein
Ferrimagnete bilden die größte Klasse von Magneten und bestehen aus zwei Arten von Atomen. Ähnlich einer Kompassnadel besitzt jedes Atom ein kleines magnetisches Moment, auch Spin genannt, das von den Elektronen des Atoms erzeugt wird und so zum Magnetismus führt. Wird das Atomgitter eines Ferrimagneten erwärmt, verschwindet dessen magnetische Ordnung. Das Forscherteam hat nun elementare Schritte dieses Prozesses aufgedeckt.
„Um das Atomgitter eines YIG-Ferrimagneten augenblicklich und ausschließlich zu erwärmen, verwenden wir eine sehr spezifische und neuartige Art von Anregung: ultrakurze Laserlichtblitze bei Terahertz-Frequenzen. Danach nehmen wir eine Art Film über die Entwicklung der Magnetisierung auf“, erläutert Dr. Sebastian Mährlein von der Freien Universität. „Die schnell stattfindende Energieübertragung vom Atomgitter in die Spins, die durch die Erhitzung ausgelöst wird, führt zu einem neuartigen Zustand der Materie, in dem die Spins zwar heiß sind, aber noch nicht ihr gesamte Magnetisierung verringert haben“, erklärt Dr. Ilie Radu vom Max-Born-Institut Berlin. Dieser „Spinüberdruck“ werde erst durch wesentlich langsamere Prozesse abgebaut, die mit einer Abgabe von Drehimpuls an das Gitter einhergehen.
„Unsere Ergebnisse können zum Beispiel in der Datenspeicherung Anwendung finden“, erläutert Dr. Sebastian Mährlein, der die Experimente durchführte. „Wann immer wir den Wert eines Bits in einem magnetischen Speichermedium zwischen 0 und 1 umschalten wollen, müssen letztlich Drehimpuls und Energie zwischen Atomgitter und Spins übertragen werden.“ Dadurch erhoffen sich die Wissenschaftler, Schlüsselelemente für eine spinbasierte Informationstechnologie zu liefern, die im Terahertz-Frequenzbereich arbeitet.
Wird ein elektrisch nichtleitender Ferrimagnet erwärmt, erreicht die Wärme zunächst das Atomgitter, wodurch sich die Atome zufällig um ihre Ruhelage bewegen. Schließlich verursacht ein Teil der Wärme auch eine zufällige Rotation (Präzession) der Spins um ihre ursprüngliche kalte Richtung. Dadurch geht die magnetische Ordnung verloren. Die Gesamtmagnetisierung nimmt ab und verschwindet schließlich, wenn die Temperatur des Ferrimagneten die sogenannte Curie-Temperatur überschreitet, die in diesem Fall bei 125°C lag. Obwohl dieser Prozess von grundlegender Bedeutung für die Datenspeicherungstechnik ist, war bislang nicht geklärt, wie lange es dauert, bis das erwärmte Atomgitter und die kalten magnetischen Spins miteinander ins Gleichgewicht kommen. Bisherige Schätzungen der Zeitdauer unterschieden sich für YIG um einen Faktor von bis zu einer Million.
Auf diese Frage haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach eigener Einschätzung nun eine Antwort gefunden. Die im Magneten ablaufenden Vorgänge können den Experten zufolge analog am Beispiel von Wasser nachvollzogen werden, das sich in einem geschlossenen Topf in einem heißen Ofen befindet: Die heiße Luft des Ofens entspricht dem heißen Atomgitter im Experiment, das Wasser im Topf stellt die magnetischen Spins des Versuchs dar (siehe Abbildung A). Wird das Atomgitter durch den Terahertz-Laserblitz erwärmt, führen verstärkte zufällige Schwingungen der Atome zu einer Übertragung der magnetischen Ordnung von Spintyp 1 (blaue Pfeile in Abbildung B) auf Spintyp 2 (grüne Pfeile). Dieser Prozess läuft auf der extrem schnellen Zeitskala von einer Pikosekunde ab. Dabei heizen sich die atomaren Spins auf, ihre Gesamtmagnetisierung bleibt jedoch konstant, ähnlich wie Wasser in einem geschlossenen Topf, das sein Volumen halten muss.
Originalveröffentlichung
Maehrlein, Sebastian F. and Radu, Ilie and Maldonado, Pablo and Paarmann, Alexander and Gensch, Michael and Kalashnikova, Alexandra M. and Pisarev, Roman V. and Wolf, Martin and Oppeneer, Peter M. and Barker, Joseph and Kampfrath, Tobias; "Dissecting spin-phonon equilibration in ferrimagnetic insulators by ultrafast lattice excitation"; Science Advances; 2018