Linde-Fusion mit Praxair wackelt
Nachverhandlung notwendig
(dpa-AFX) Die Fusion der beiden Industriegasehersteller Linde und Praxair kommt wegen der Auflagen von Kartellwächtern zunehmend in Gefahr. "Auf Basis weiterer Rückmeldungen von Wettbewerbsbehörden ist nunmehr davon auszugehen, dass die umsatzbezogene Obergrenze für Veräußerungszusagen überschritten wird", teilte Linde am Mittwoch in München mit. Dies hatte sich in den vergangenen Wochen bereits abgezeichnet, nachdem die beiden Konzerne Anfang August vor weiteren Hürden vor allem in den USA gewarnt hatten. Die Zeit drängt: Laut Wertpapiergesetz muss die Fusion spätestens am 24. Oktober unter Dach und Fach sein.
Linde und Praxair hatten in ihrer Fusionsvereinbarung festgelegt, dass bei den kartellrechtlich notwendigen Verkäufen von Unternehmensteilen die Grenze von 3,7 Milliarden Euro beim Umsatz oder 1,1 Milliarden Euro beim Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) nicht überschritten werden darf. Dem Überschreiten dieser Grenze bei den für die Fusion notwendigen Verkäufen müssen gemäß der Übernahmevereinbarung beide Unternehmen zustimmen.
"Linde und Praxair setzen ihre konstruktiven Gespräche miteinander fort und diskutieren mit den Wettbewerbsbehörden, wie deren Anforderungen erfüllt werden können", hieß es weiter. Die beiden Unternehmen hatten bereits Anfang August mitgeteilt, dass die Auflagen der US-Wettbewerbsbehörde FTC höher ausfallen könnten als bis dahin angenommen. Damals hatte es geheißen, dass durch "zusätzliche Veräußerungszusagen" die selbstgesetzte 3,7-Milliarden-Obergrenze überschritten werden könnte.
Der Kurs der im Dax notierten zum Umtausch eingereichten Linde-Aktien sackte seit der Mitteilung um rund acht Prozent ab. Bei den nicht zur Fusion eingereichten Papieren fiel das Minus mit rund drei Prozent deutlich geringer aus, so dass der Abstand zwischen den beiden Aktiengattungen auf rund zehn Prozent zusammengeschmolzen ist. Ein Beleg dafür, dass am Markt die Zweifel an einer erfolgreichen Fusion gestiegen sind.
Linde kommt nach den Kursverlusten bei beiden Aktiengattungen seit der Ankündigung am 5. August auf eine Marktkapitalisierung von knapp 36 Milliarden Euro. Der Börsenwert von Praxair ging seitdem um knapp vier Prozent auf 45,5 Milliarden Dollar (rund 40 Mrd Euro) zurück.
Anfang der Woche hatte noch die Nachricht aus Brüssel, dass die EU unter Auflagen genehmigt, für Hoffnung gesorgt. Als EU-Auflage muss Praxair sein gesamtes Gasgeschäft im Europäischen Wirtschaftsraum verkaufen und seine Beteiligung an dem italienischen Gemeinschaftsunternehmen Siad abgeben. Zudem sollen Helium-Bezugsverträge veräußert werden.
In der angemeldeten Form hätte die Fusion zu einer signifikanten Verringerung der Zahl der geeigneten alternativen Anbieter geführt und damit potenziell zu Preiserhöhungen. Gase wie Helium und Sauerstoff kämen bei einer Vielzahl von Produkten zum Einsatz, etwa in der Stahlproduktion und in Krankenhäusern, erklärte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager.
"Weltweit gibt es nur sehr wenige Unternehmen, die alle diese Gase liefern können." Die nun von Linde und Praxair angebotenen Verpflichtungen räumten die wettbewerbsrechtlichen Bedenken aus - zumindest in der EU. Offen sind neben der Zustimmung in den USA auch noch die Entscheidungen der Kartellwächter in Brasilien, Argentinien, Südkorea, Indien und China.
Linde und Praxair wollen sich zum größten Industriegasehersteller der Welt zusammenschließen. Mit 80 000 Mitarbeitern und 28 Milliarden Euro Jahresumsatz würden sie ein Viertel des Weltmarkts beherrschen. Praxair ist Marktführer in den USA, Linde ist stark in Europa und Asien, im US-Medizingeschäft und im Anlagenbau. Das Unternehmen soll von Praxair-Chef Steve Angel aus den USA heraus geführt werden. Die Aktionäre haben bereits zugestimmt. Deswegen kann die Fusion nur noch an zu hohen Auflagen oder dem Veto der Kartellbehörden scheitern.