Unordnung heilt gestörten topologischen Isolator
Copyright: Universität Rostock/Alexander Szameit, Lukas Maczewsky
Copyright: University of Rostock/Alexander Szameit, Lukas Maczewsky
Copyright: University of Rostock/Alexander Szameit, Lukas Maczewsky
Forschungen zu Isolatoren mit topologisch geschützter Oberflächenleitfähigkeit – kurz: topologischer Isolator – sind aktuell im Trend. Möglicherweise sind topologische Materialien geeignet, die Halbleitertechnologie einst abzulösen.
Topologische Isolatoren zeichnen sich durch bemerkenswerte elektrische Eigenschaften aus. Im Innern zeigt diese Struktur isolierende Eigenschaften, an der Oberfläche ist sie jedoch außerordentlich gut leitend und zwar so gut, dass ein einmal eingespeister Elektronenstrom im Prinzip niemals zu fließen aufhören würde. Das Verhalten gleicht der Supraleitung, funktioniert aber nach einem ganz anderen Mechanismus: man spricht von einem „topologisch“ geschützten Strom. Analog zu einem Strom von Elektronen, die Spin-1/2-Teilchen sind, sogenannte Fermionen, funktioniert das Prinzip des topologischen Isolators auch mit Lichtteilchen, die ganzzahligen Spin aufweisen, den sogenannten Bosonen.
Die Eigenschaften eines topologischen Isolators sind verhältnismäßig stabil. Bei sehr großen Störungen der regelmäßigen Struktur verschwinden die leitenden Eigenschaften an der Oberfläche jedoch, man hat es dann mit einem normalen Isolator zu tun. Das bedeutet für den optischen Fall, dass überhaupt kein Licht weder durch eine solche Struktur hindurch gelangen noch an der Oberfläche weitergeleitet werden kann.
2009 hatten Chu, Jain und Shen in einer theoretischen Untersuchung für einen Festkörper recht exotische Eigenschaften angenommen. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen war ein normaler Isolator, der keinen Strom leitet. In ihrer numerischen Simulation konnten die Autoren zeigen, dass jedoch die typischen Eigenschaften des topologischen Isolators – Isolation im Innern, Quasisupraleitung über die Oberfläche (Rand) – durch eine zusätzliche zufällige Störung der Struktur erzeugt werden können. Diese Vermutung konnte experimentell bislang nicht bestätigt werden.
Aktuell ist es Szameit und Kollegen gelungen, das vermutete elektronische Verhalten des Festkörpers für Lichtwellen nachzuweisen. Nach umfangreichen theoretischen Vorüberlegungen und numerisch aufwendigen Simulationen wurde ein experimentelles Design realisiert, mit dessen Hilfe im Experiment mit Lichtwellen gezeigt werden konnte, dass ein gewöhnlicher Isolator durch randomisierte Störungen plötzlich topologische Eigenschaften zeigt: Keine Lichttransmission durch das Innere der Struktur, wohl aber Lichtleitung über die Oberfläche.
Die Wissenschaftler haben dazu in hochreines Kieselsäureglas per fokussierten Laserpulsen mit enormen Energiedichten im Gigawattbereich Wellenleiter in das Glasplättchen eingeschrieben, die im Querschnitt eine bienenwabenähnliche Graphenstruktur abbilden. Diese parallelen Wellenleiter, die wie Glasfasern das Licht leiten, werden dabei selbst nicht als Geraden, sondern als Schraubenlinie ausgeführt, so dass die Propagation des Lichtes in Vorwärtsrichtung einer rechtsdrehenden und in Rückwärtsrichtung einer linksdrehenden Schraube entspricht. Damit wird eine Brechung der Zeitsymmetrie realisiert. Das ist ein wesentliches Element, um die Eigenschaften eines topologischen Isolators zu erhalten (Abb. 1).
Im experimentellen Aufbau wird Licht eines roten HeNe-Lasers in die Wellenleiterstruktur eingekoppelt. Am anderen Ende der Wellenleiterstruktur wird mit einem Fotosensor detektiert, ob Licht durch die Struktur durchgeleitet oder auf der Oberfläche weitergeleitet wird. In einem ersten Versuch wurde eine geordnete Störung in die Wellenleiterstruktur eingebracht, indem sich die Brechungsindizes direkt benachbarter Wellenleiter um zwei Zehntausendstel unterscheiden. Damit waren die leitenden Eigenschaften der topologischen Struktur vollständig zerstört: kein Licht konnte hinter der Struktur nachgewiesen werden (Abb. 2). Was aber passiert, wenn weitere Störungen zur bestehenden Unordnung hinzugefügt werden?
In einem zweiten Versuch wurden die Wellenleiter so präpariert, dass zur bestehenden regelmäßigen Störung benachbarter Wellenleiter unregelmäßig verteilte Unterschiede der Brechungsindizes aller Wellenleiter hinzugefügt worden sind. Entgegen der Erwartung, dass bei einer weiteren Unordnung in der topologischen Struktur die rein isolierenden Eigenschaften erhalten bleiben sollten und es hinter der Probe dunkel bleibt, zeigte sich im zweiten Versuch Lichtleitung über die Oberfläche. Licht konnte am Rand hinter der Probe detektiert werden (Abb. 3).
Damit ist für den Fall des Lichtes der experimentelle Nachweis der Vermutung von Chu et al. gelungen, die ursprünglich nur für Elektronen geäußert worden war: Topologische Isolatoren können mittels Unordnung aus normalen Isolatoren erzeugt werden, was dem gängigen Verständnis topologischer Isolatoren völlig widerspricht. Sind die Eigenschaften von topologischen Materialien schon ungewöhnlich genug, ist es die Abhängigkeit ihrer Eigenschaften von einer Störung in der Struktur noch umso mehr. Durch die Forschungen der Gruppe um den Rostocker Physiker Szameit konnte das Verständnis der rätselhaften topologischen Isolatoren ein gutes Stück weiter vertieft werden.
Die Arbeiten der Forschungsgruppe um Professor Szameit, die der klassischen (Wellen-)Optik zuzurechnen sind, werfen Licht auf die besonderen Eigenschaften topologischer Isolatoren. Damit ist einmal mehr gezeigt, dass die klassische Optik keineswegs nur für anwendungsnahe Forschung bedeutsam ist, sondern zur Grundlagenforschung der technologisch so vielversprechenden topologischen Isolatoren einen Beitrag leisten kann.