Weltweit erstmals Entstehung von chemischen Bindungen in Echtzeit beobachtet und simuliert
Universität Paderborn, Dr. Andreas Lücke
„Chemische Reaktionen sind durch die Bildung bzw. den Bruch chemischer Bindungen zwischen Atomen und den damit verbundenen Änderungen atomarer Abstände gekennzeichnet“, erklärt Wolf Gero Schmidt. „Diese Bewegungen auf atomaren Skalen sind extrem schnell: im Billiardstel einer Sekunde. Während der Reaktion verschieben sich aber nicht nur die Atome, sondern es verändern sich auch die Positionen und Energien der Elektronen in der Umgebung. Diese Dynamik ist entscheidend für die Bildung einer chemischen Bindung. Bis jetzt war sie jedoch nicht messbar“, so der Paderborner Wissenschaftler weiter.
Um der zeitlichen Änderung der Elektronenstruktur auf die Spur zu kommen, präparierten die Physiker atomar dünne Drähte aus Indium, einem seltenen Schwermetall, auf einer Siliziumoberfläche. Im sogenannten Grundzustand, bei niedriger Energie, bleiben die Elektronen bei ihren entsprechenden Indium-Atomen. Wenn dem System jedoch mit einem Laser mehr Energie zugeführt wird, verteilen sich die Elektronen entlang der Indium-Drähte und es entsteht eine sogenannte „metallische Bindung“. Mittels Lichtbestrahlung unter verschiedenen Winkeln verfolgten die Forscher die dabei auftretenden Änderungen von Energie und Impuls der Elektronen. Mit diesen Größen lassen sich Elektronen umfassend charakterisieren. Die Forscher konnten so der Entstehung einer chemischen Bindung zusehen. Diese dauert nur wenige Femtosekunden. Zum Vergleich: Eine Femtosekunde ist das Billiardstel einer Sekunde (1 Femtosekunde = 0,000.000.000.000.001 Sekunden). Durch Simulationen am Computer entstand anschließend eine „Live-Aufnahme“ der chemischen Reaktion.
„Der Heilige Gral der Chemie“
„Die quantenmechanische Berechnung der vielen angeregten Elektronen (mit hoher Energie), die sich im komplexen Zusammenspiel mit der Dynamik der Atome befinden, erfordert Supercomputer-Ressourcen“, so Schmidt. Diese wurden durch das Paderborner Zentrum für Paralleles Rechnen (PC²) und das Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart zur Verfügung gestellt. Durch die Simulation wurde das physikalische Konzept von Energie- und Impulsverteilung der Elektronen mit dem chemischen Bild der Bindung zusammengeführt. „Die wechselseitige Beeinflussung von atomaren und elektronischen Freiheitsgraden im Verlauf einer chemischen Reaktion ist gewissermaßen der Heilige Gral der Chemie“ erklärt Schmidt. „Durch die Simulationen konnten wir in bisher unerreichter Detailschärfe den Zusammenhang zwischen elektronischer Anregung und Reaktionspfad aufklären. Das wird uns zukünftig erlauben, elektronische Anregungen für Wunschreaktionen maßzuschneidern.“
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