Einkristallzüchtung bei 1600°C – statt in Warmwasser
Schieber-Preis der International Organization for Crystal Growth (IOCG) für Dr. Anton Jesche
© IOCG
Nur wenn alle Atome einer Materialprobe strikt periodisch angeordnet sind, wenn sie also ein durchgehendes, einheitliches und homogenes Kristallgitter bilden, ist ein direkter Zugang zu den physikalischen Eigenschaften, die das Material charakterisieren, möglich. "Direkt" heißt hier z. B., dass etwa die Messung der elektrischen Leitfähigkeit eines Materials durch den Einfluss von Korngrenzen – von Grenzen zwischen Bereichen, in denen die Atome unterschiedlich ausgerichtet sind – nicht gestört wird.
In einer 1600°C-Metallschmelze statt in warmem Wasser
Die Züchtung solcher Einkristalle, die durch ein homogenes, von Korngrenzen nicht gestörtes Gitter charakterisiert sind, erfolgt gängigerweise durch die Lösung des pulversierten Ausgangsmaterials in erwärmtem Wasser. Bei der von Jesche am Lehrstuhl für Experimentalphysik VI der Universität Augsburg weiterentwickelten und praktizierten Methode, wird das Materialpulver nicht in erwärmtem Wasser, sondern in auf bis zu 1600°C erhitztem flüssigem Metall gelöst. Jesche erläutert den Vorteil dieses Verfahrens so: "Durch die hohe Beweglichkeit, die diese hohe Temperatur ihnen in der Metallschmelze verschafft, fällt es den verschiedenen Atomen wesentlich leichter, gezielt einen ganz bestimmten Platz in einem geordneten, kristallinen Gitter einzunehmen, um so einen makroskopischen Kristall, einen Einkristall also zu bilden, wenn die Schmelzlösung langsam abgekühlt wird."
Erfahrung, experimentelles Geschick und Ausdauer
Ob freilich die gewünschte Verbindung dann auch tatsächlich wachse, fügt Jesche hinzu, "ist in hohem Maß von Erfahrung, vom experimentellem Geschick und von der Ausdauer des Experimentators abhängig." Den nach dem Gründer des renommierten "Journal of Crystal Growth" benannten Schieber-Preis, der ihm bei der der 19. „Internationalen Konferenz für Kristallzüchtung und Epitaxie“ vor mehr als 600 einschlägigen Experten aus der ganzen Welt in Keystone (Colorado, USA) verliehen wurde, kann der Augsburger Physiker also nicht nur als Bestätigung der Relevanz seiner innovativen Züchtungsmethode betrachten; der Preis würdigt vielmehr auch seine Erfahrung, sein Geschick und seine Ausdauer, mit denen es ihm gelingt, mit dieser Methode optimierte Einkristalle zu züchten.
Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe am Augsburger EKM
Anton Jesche erhielt sein Physikdiplom 2007 an der TU Dresden. Er promovierte 2011 mit einer am Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe (Dresden) erarbeiteten Studie. Nach einem anschließenden Postdoc-Aufenthalt am Ames National Laboratory (USA) wechselte er 2014 an das Zentrum für Elektronische Korrelationen und Magnetismus (EKM) der Universität Augsburg. Seit 2015 leitet er hier eine eigenständige Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe.
Fruchtbarer Augsburger Kristallzuchtboden
Dass er seine Kristallzucht am EKM der Universität Augsburg auf einem sehr fruchtbaren Boden betreibt, sieht Jesche durch eine Koinzidenz bestätigt, die seiner Meinung nach mehr als reiner Zufall sei: "Neben mir sind in Keystone auch Reinhard Uecker vom Leibnitz-Institut für Kristallzüchtung in Berlin und Darrell Schlom von der Cornell University ausgezeichnet worden. Sie haben gemeinsam den begehrten begehrte Frank-Preis der IOCG erhalten. Dass Darrell Schlom von 1999 bis 2012 regelmäßig Gast am Augsburger Lehrstuhl für Experimentalphysik VI war und dass er die Bedeutung seiner Augsburger Zeit für seine erfolgreichen Arbeiten in seinem Preisträgervortrag vor der gesammelten internationalen Community hervorgehoben hat, spricht für sich und verweist auf die hervorragenden Bedingungen und das stimulierende Umfeld, das das Institut für Physik und insbesondere am EKM der Universität Augsburg unsere Forschungen bietet.
2800 Meter über NN und 1600°C über dem IOCG-Logo
Und noch ein "Zufall", der Anton Jesche in den Sinn gekommen ist, als er kürzlich in den Rocky Mountains auf 2.800 Metern Höhe den Schieber-Preis entgegennahm: Nicht nur das Wintersportparadies Keystone, sondern auch die vier Eiskristalle, die das Logo der IOCG prägen, liegen ziemlich weit unter den bis zu 1600°C, bei denen er in Augsburg die Einkristallzüchtung voranbringt.