Meilensteine auf dem Weg zur Atomkern-Uhr
Zwei Forscherteams gelang es gleichzeitig, den lang gesuchten Kern-Übergang von Thorium zu messen
© TU Wien
Seit Jahrzehnten suchte man nach passenden Atomkernen für diesen Zweck, und schon lange vermutete man, dass Thorium-Kerne einen geeigneten Kernzustand haben müssten, der zum Bau einer neuen Generation von Hochpräzisions-Uhren taugt. Dieser langgesuchte Kernzustand von Thorium konnte nun erstmals experimentell nachgewiesen werden – und zwar gleich zweimal, von zwei unterschiedlichen internationalen Forschungsteams. Die TU Wien war an beiden Experimenten maßgeblich beteiligt. Die Resultate der beiden Experimente wurden nun gleichzeitig im Fachjournal „Nature“ publiziert.
Zwei benachbarte Energiezustände
„In der Kernphysik hat man es meist mit sehr hohen Energien zu tun“, erklärt Prof. Thorsten Schumm vom Atominstitut der TU Wien. „Die Energien der Elektronen, die den Atomkern umkreisen, sind normalerweise viel niedriger, daher kann man diese Elektronen etwa mit Laserstrahlen relativ leicht manipulieren. Bei Atomkernen ist dies üblicherweise nicht möglich.“
Thoriumkerne des Isotops 229 allerdings sind eine bemerkenswerte Ausnahme: „Knapp über dem Grundzustand – also dem Zustand mit der kleinstmöglichen Energie – gibt es erstaunlicherweise einen weiteren Kernzustand, den wir Isomer nennen“, sagt Thorsten Schumm. Der Energieunterschied zwischen diesen beiden Kernzuständen – dem Grundzustand und dem Isomer – ist um viele Größenordnungen geringer als in anderen Atomkernen. Er ist vergleichbar mit den Energien der Elektronen. Thorium-229 ist nach derzeitigem Wissen der einzige Kern, der einen solch nieder-energetischen Isomerzustand aufweist.
Der Übergang zwischen den beiden Thorium-Kernzuständen eignet sich ausgezeichnet für den Bau einer neuartigen Präzisions-Uhr. Kernzustände lassen sich noch präziser messen als Elektronenhüllen-Zustände, wie man sie in Atomuhren nutzt. Außerdem ist der Atomkern viel besser gegen Störungen geschützt, etwa gegen äußere elektromagnetische Felder. Das große Problem war bisher, dass man den exakten Energiewert des merkwürdigen Thorium-Isomerzustandes nicht kannte.
Komplizierte Messmethode
Weil die Suche nach diesem Kernzustand kompliziert und aufwändig ist, schlossen sich mehrere Teams zusammen: Forschungsgruppen aus Deutschland und Österreich (LMU München, MPI Heidelberg und TU Wien) entwickelten eine Methode, den gesuchten Kernzustand aufzuspüren: Wenn radioaktive Urankerne des Isotops 233 zerfallen, entstehen elektrisch geladene Thoriumionen – etwa 2 % von ihnen im gesuchten angeregten Kernzustand. Um diese Thoriumionen wieder elektrisch zu neutralisieren, lenkt man sie durch eine dünne Graphen-Schicht, aus der sich die Thoriumionen die fehlenden Elektronen holen. Danach können die neutralen Thoriumatome spontan vom angeregten Kernzustand in den tiefsten Kernzustand wechseln. Dabei wird Energie frei, und zwar in Form eines Elektrons, das fortgeschleudert wird. Die Energie dieses Elektrons wird gemessen – und wenn es gelingt, alle Details des komplizierten Experiments exakt zu kontrollieren und zu berechnen, kann man daraus auf die Energie des gesuchten Thorium-Kernzustandes schließen. Thorsten Schumm und Simon Stellmer vom Atominstitut halfen mit, das Experiment zu entwickeln, Florian Libisch und Christoph Lemell vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien führten Computersimulationen durch, die zu einer quantitativen Messung der Isomerenergie führten.
In Japan wurde gleichzeitig ein ganz anderes Experiment durchgeführt, und auch bei dieser Arbeit wirkte Thorsten Schumm von der TU Wien mit. Dort wurde ein Synchrotron verwendet, das extrem intensive Röntgenstrahlen produziert. Wenn man Thoriumkerne damit bestrahlt, kann man sie dadurch in den zweiten angeregten Kernzustand mit 1000-fach höherer Energie versetzen. Von diesem Zustand wechseln die Thoriumkerne dann vorwiegend in den gesuchten ersten angeregten Zustand, nahe beim Grundzustand – die Atome werden aktiv in den Isomerzustand „gepumpt“ und können dort vermessen werden.
Zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten
„Das ist ein extrem wichtiger Schritt für uns: Wir wissen nicht nur, dass es den angeregten Zustand knapp über dem Grundzustand tatsächlich gibt, wir kennen nun auch seine Energie recht genau“, sagt Thorsten Schumm. In weiteren Messungen soll der Zustand nun noch besser vermessen werden, dann sollte es möglich sein, ihn für kompakte, hochpräzise Atomkern-Uhren zu nutzen – und solche Uhren würden ganz neue Forschungsmöglichkeiten eröffnen: Sie wären ein großartiges Werkzeug für die Grundlagenforschung, etwa um dunkle Materie zu untersuchen oder um zu messen, ob unsere Naturkonstanten tatsächlich exakt konstant sind. Aber zusätzlich würde eine Atomkernuhr viele Messungen präziser machen, die vielleicht nur indirekt mit Zeitmessung in Verbindung stehen. Dazu zählt etwa die Vermessung winziger Unregelmäßigkeiten im Schwerefeld der Erde oder die genauere Positionierung von Objekten mittels Satelliten-basierter Navigation.