Fahrplan für «grüne» Industrierevolution in Europa
(dpa) Wenn alles nach Plan läuft, werden in wenigen Jahrzehnten keine Fabrikschlote mehr in Europa qualmen. Eine neue industrielle Revolution soll die Produktion sauber, innovativ und digital machen - und trotzdem im zunehmend harten globalen Wettbewerb Millionen gut bezahlte Industriejobs für Europa sichern. Dieses ehrgeizige Ziel verfolgt die EU-Kommission mit ihrer am Dienstag vorgestellten Industriestrategie. Es ist eine gewaltige Aufgabe, und die Brüsseler Behörde dreht an vielen Schräubchen gleichzeitig.
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Dass Europa bis 2050 «klimaneutral» ohne neue Treibhausgase werden kann, ohne dass die Industrie auf der Strecke bleibt - das ist zumindest das Mantra von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. «Die europäische Industrie hat alles, was sie braucht, um die Entwicklung anzuführen, und wir werden tun, was wir können, um dies zu unterstützen», sagte sie zur Vorstellung der neuen Strategie. Ihre Vizepräsidentin Margrethe Vestager betonte, der grüne und digitale Wandel sei Chance und Herausforderung zugleich.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ist da nicht ganz so zuversichtlich. «Der wirtschaftliche Umbau Europas zu mehr Klimaschutz setzt Unternehmen unter Druck und erfordert jährliche Mehrinvestitionen in Höhe von 290 Milliarden Euro», warnte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. «Keineswegs dürfen steigende klimaschutzbedingte Kosten in Europa zu Produktionsverlagerungen führen.»
Darin scheinen sich alle Beteiligten einig. Immerhin hängen in der EU 35 Millionen Arbeitsplätze direkt an der Industrie, in Deutschland sind es 7 Millionen, die zusammen fast ein Viertel der Wertschöpfung erarbeiten. Aber wenn bis 2050 überhaupt keine neuen Treibhausgase aus der EU mehr in die Atmosphäre kommen sollen, müssen andere Produkte auf andere Weise hergestellt werden.
Die EU-Kommission wirft eine Menge Schlagworte in die Runde: Digitalisierung! Herausforderung! Ökosysteme! Die Industriestrategie ist in erster Linie eine Serie von Ankündigungen. Aktionspläne zum Schutz von geistigem Eigentum und zur Rohstoffbeschaffung. Eine Überprüfung der europäischen Wettbewerbsregeln und Schutzinstrumente gegen unfaire Praktiken im Welthandel. Ein Weißbuch zur Wirkung ausländischer Subventionen im Binnenmarkt und eine Gesetzesvorlage zu Gegenmaßnahmen. Eine Strategie für den Mittelstand und eine zum Abbau von Hürden im Binnenmarkt: «Dieses Paket ist umfassend», lobte Vestager.
Umfassend, aber eben auch teils watteweich. Ein aussichtsreiches und konkretes Instrument sind immerhin Pläne für weitere Konsortien nach dem Muster der Batterie-Allianz, die 2017 gegründet wurde, um hochwertige Batterien für Elektroautos in Europa zu produzieren, statt sie sämtlich aus Asien einzuführen. In solchen Großprojekten sollen kleine und große Firmen sowie staatliche Akteure zusammenwirken. Als nächstes steht eine solche Allianz zur Entwicklung der Wasserstofftechnik an, wie Kommissionsvize Valdis Dombrovskis ankündigte.
Wasserstoff ist ein potenziell fabelhafter Antriebstoff für Autos der Zukunft, weil nach der Nutzung nur Wasserdampf übrig bleibt. Und doch kommt man bei der Einführung kaum voran - wegen hoher Kosten, wegen technischer Probleme und fehlender Zapfsäulen. Hier will die Kommission ansetzen und in grenzüberschreitender Zusammenarbeit von Firmen in Europa endlich die nötige Marktkraft entfesseln.
«Wir müssen alle Kräfte bündeln, um Schlüsseltechnologien in Europa zu stärken», betonte auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. «Nur so können wir Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze langfristig sichern.» Die neue EU-Strategie sieht der CDU-Politiker auch als Erfolg für Deutschland und Frankreich, die vor einem Jahr eine Initiative für eine europäische Industriepolitik gestartet hatten.
Grüne und Umweltschützer begrüßen den Ansatz, mit aktiver Wirtschaftspolitik die europäische Klimawende voranzubringen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ist indes nur halb beruhigt, ob eine De-Industrialisierung Europas wirklich abgewendet werden kann. «Es reicht nicht, allgemeine Rahmenbedingungen zu verbessern», sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell der «Neuen Osnabrücker Zeitung» (Mittwoch). Vielmehr müsse die EU selbst massiv zusätzliches Geld in den sozial-ökologischen Umbau investieren.
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