Schwingungen im Kristallgitter schütteln den Stau der korrelierten Elektronen ab
Jörg Harms, MPSD
Sorgfältige Berechnungen zeigten außerdem, dass genau diese auf den ultraschnellen Aufnahmen abgebildeten Schwingungen das isolierende Verhalten des Materials jedoch auch destabilisieren können. Die Ergebnisse sind nun in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht worden und weisen auf neue Designkriterien für die Optimierung energiesparender Supraleiter bei Rekordtemperaturen hin.
Mit ihrer Entdeckung der Hochtemperatur-Supraleitung in einem Kupfer-Oxid (Kuprat) verursachten Alex Müller und Georg Bednorz 1986 ein Beben in der Welt der Festkörperphysik. Ihre Entdeckung führte nicht nur zu einem sofortigen Nobelpreis, sondern auch zum ‚Woodstock der Physik‘ beim March Meeting 1987 der American Physical Society, welches auf die Titelseite der New York Times gelangte. So begann das ‚Hoch-Tc-Fieber‘: Eine weltweite Jagd auf die Supraleitung bei Raumtemperatur. Mehr als 30 Jahre später stellen Kuprate Physiker noch immer vor Rätsel. Eine universell akzeptierte Erklärung ihrer elektronischen Eigenschaften bleibt weiterhin aus.
Konventionelle Supraleiter wie Quecksilber oder Aluminium sind hingegen gut verstanden. Ihre Elektronen, die sich durch die jeweilige negative Ladung voneinander abstoßen, werden durch von positiven Ionen verursachten Deformierungen im Kristallgitter aneinandergebunden. Das Beispiel der weichen Matratze ist eine einleuchtende Analogie: Zwei Menschen, die sich ein Bett teilen, rücken unabsichtlich zusammen, weil ihr Gewicht die Matratze verformt.
In konventionellen Materialien kann diese Elektronenkopplung ein normales Metall mit ohmschem Widerstand in einen Supraleiter verwandeln, dessen Elektronen eine Quantensuppe bilden, die verlustlos durch Drähte saust. Allerdings entsteht dieser supraleitende Zustand nur, wenn die Materialien mit flüssigem Helium auf fast den absoluten Nullpunkt gekühlt werden – ein teurer Vorgang, der mögliche Anwendungen einschränkt.
Gänzlich andere Bedingungen herrschen in Hochtemperatur-Supraleitern. Die Materialien mit den höchsten Sprungtemperaturen benötigen nur flüssigen Stickstoff, um kalt genug für den supraleitenden Zustand zu sein. Sobald sie nicht ausreichend gekühlt sind, werden sie jedoch zu schlechten Leitern statt zu guten Metallen. In ihrem undotierten Zustand sind sie sogar Isolatoren mit magnetischen Eigenschaften – ein Zustand, von dem lange angenommen wurde, dass er die Supraleitung behindert. Darüber hinaus schrieb man dem Kristallgitter keine Rolle im Mechanismus der Supraleitung zu. Stattdessen schien die Elektronenlokalisierung durch die starke Coulomb-Abstoßung in Mott-Isolatoren die Schlüsselrolle zu spielen.
Die Ergebnisse des Teams, bestehend aus Forschungsgruppen der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL), des Max-Planck-Instituts für die Struktur und Dynamik der Materie (MPSD) in Hamburg und des King’s College London (KCL), zeigt diese Zustände nun in einem neuen Licht. In LCO, einem der Isolatoren, der durch geeignete Dotierung supraleitend wird, wird das von Laserblitzen ausgelöste metallische Verhalten nicht nur von bestimmten Gitterschwingungen begleitet, sondern diese könnten sogar am Prozess der Metallisierung selbst beteiligt sein.
Experimentalphysiker Edoardo Baldini, der Erstautor der Studie, führte das Experiment als PhD-Student in Fabrizio Carbones Gruppe an der EPFL aus und ist nun Postdoktorand am Massachusetts Institute of Technology. „Wir wollten herausfinden, wie man in LCO den Übergang vom Isolator zum Metall mit ultrakurzen Laserpulsen verursachen kann,“ erklärt Baldini. „Auf einmal entdeckten wir eine extrem schnelle Metallisierung entlang der kristallographischen Achsen des LCO und plötzlich reflektierte das Material das Licht in Farben, die wir bislang nicht beobachtet hatten.“
Eine genauere Analyse der ultraschnellen Abbildungen gab überraschende Einblicke: „Wir entdeckten interessante Oszillationen in dem Signal,“ sagt Baldini. „Das Kristallgitter bewegte sich mit den charakteristischen Schwingungsfrequenzen, während LCO zu einem Metall wurde und dann in seinen isolierenden Zustand zurückkehrte.“
Fasziniert von ihren Ergebnissen kontaktierten die Schweizer Forscher die MPSD-Theoretiker in Hamburg. Thomas Brumme, ein damaliger Postdoktorand, der nun an der Universität Leipzig arbeitet, entschloss sich gemeinsam mit Theoriedirektor Ángel Rubio und Emmy-Noether-Forschungsgruppenleiter Michael Sentef, zunächst die relevanten Gitterschwingungen zu berechnen. Sentef leitete die Daten aus dem Experiment und die berechneten Schwingungsmoden an die King‘s College London-Gruppe weiter, deren Forscher auf die Berechnung elektronischer und optischer Spektren in komplexen Materialien spezialisiert sind.
„Wir wollten wissen, was passiert, wenn das LCO-Kristall entlang derselben Vibrationskoordinaten verformt wird, wo die Experimentalphysiker in ihren Aufnahmen die Bewegung entdeckten,“ sagt Sentef. „Diese Gitterschwingungen mussten einen besonderen Effekt haben.“
Die Ergebnisse dieses rechnerischen Gedankenexperiments waren außergewöhnlich. „Wir hatten erwartet, dass die Gitterpositionen einen gewissen Einfluss auf die elektronischen Spektren ausüben,“ sagt Cédric Weber, Senior Lecturer am KCL. „Aber wir waren sehr überrascht über das Ausmaß der Veränderungen der Spektren in den verzerrten Strukturen. In genau denselben Schwingungszuständen, die im Experiment beobachtet wurden, entwickelt LCO tatsächlich einen metallischen Zustand. Der scheinbar robuste korrelierte Isolationszustand ist nicht so robust, wie es jahrzehntelang angenommen wurde.“
Diese Erkenntnisse werfen ein neues Licht auf die Rolle des Kristallgitters, selbst in stark korrelierten Elektronensystemen. Sie sind ein Anstoß, das jetzige Verständnis dieser Materialien zu überprüfen, in dem kleine Kristallverformungen lange als irrelevant eingestuft wurden.
Rubio betrachtet dies nicht als eine weitere Herausforderung in einem komplizierten Thema, sondern als eine Chance. „Die Fähigkeit, die grundlegenden Eigenschaften der Materie zu verändern treibt unsere Forschung voran,“ sagt er. „Wir sind stets auf der Suche nach effizienten Wegen, um die Supraleitung und andere Materialeigenschaften zu steuern. Wenn wir die richtigen Steuerknöpfe entdecken, können wir sie in zukünftigen Quantentechnologien einsetzen!“